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KÖNNEN TOMATEN TRÄUMEN? Von Mathias Bröckers

Können Tomaten träumen? Diese Frage kann mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Wobei das Träumen der Tomate nicht unbedingt mit der Tätigkeit identisch ist, die wir Tomatenesser darunter verstehen. Aber eine gewisse Vorstellungs- und Imaginationskraft kann unseren leckeren, rothäutigen Zeitgenossen nicht länger abgesprochen werden. Ja, wenn Intelligenz in der Fähigkeit besteht, aus Vergangenheit und Gegenwart die Zukunft zu extrapolieren, d.h. vorauszuplanen, dann sind sie sogar intelligent: Drei Tage, bevor sich ein meteorologisches Hochdruckgebiet in ein Tiefdruckgebiet verwandelt, fangen die Tomaten an, ihre Außenhaut zu verstärken. Keiner weiß, wie sie das machen. Weder verfügen sie über ein Thermometer, noch sind sie in der Lage, die Wettersatelliten anzuzapfen, und doch verstärken sie ihre dünne Haut rechtzeitig vor jedem Wetterumschwung und sind so gegen einen höheren Außendruck, der ihre Haut platzen ließe, gewappnet. Die Tomatenhaut scheint also offensichtlich über ein Resonanz-Organ zu verfügen, mit dem sie in die meteorologische Zukunft hineinhorchen und dem Prinzip der Kausalität, der zeitlichen Abfolge von Ursache und Wirkung, ein Schnippchen schlagen kann. Denn niemand wird behaupten, daß Wetterumschwünge auf einen Tomaten-Effekt zurückzuführen seien. Vielmehr scheint die Tomate auf eine noch gar nicht existente, in der Zukunft liegende Ursache, zu reagieren, d.h. sie zeigt Wirkung, bevor die Ursache überhaupt eingetreten ist.

Die Sensibilität für das meteorologische Chaos der Zukunft ist nicht die einzige Leistung der Tomaten- Intelligenz: In einem zweijährigen, wissenschaftlich begleiteten Test der WDR-Redaktion „Hier und Heute“ brachten Tomatenpflanzen, die täglich Zuspruch und liebevolle Zuwendung genießen durften, 22,2 Prozent mehr Ertrag als solche, die vom selben Betreuer lediglich mit Wasser und Dünger versorgt wurden. Der Verfahrenstechniker der Fachhochschule Weihenstephan, Manfred Hoffmann, der das Experiment überwachte, meinte: „Ich hätte so große Unterschiede nicht erwartet.“ Er geht davon aus, daß sich ähnliche Ergebnisse auch mit Karotten, Erdbeeren und anderen Pflanzen erzielen lassen — was wahrscheinlich noch viel zu niedrig gegriffen ist, betrachtet man etwa, was Peter Tompkins und Christopher Bird in ihrem Klassiker (Das geheime Leben der Pflanzen, Fischer TB) über Intelligenz, Charakter und Seele der Pflanzen zusammengetragen haben. Im Unterschied zur englischen Ausgabe fehlt in der Übersetzung allerdings das Kapitel über das Findhorn-Wunder, das man den deutschen Skepsis- Gläubigen wohl nicht zumuten wollte: im schottischen Findhorn erntete eine Kommune auf einem unfruchtbaren, sandigen Stück Land 40 Kilogramm schwere Kohlköpfe — ohne irgendwelche besonderen Anbaumethoden gedeihen dort auch alle anderen Pflanzen in unglaublicher Pracht. Die Findhorn-Leute erklären das Wunder damit, daß sie mit diversen „Naturgeistern“ in Kontakt stehen, die als „Architekten“ den Aufbau des Erdreichs, der Pflanzen- und Tierwelt überwachen und deren Anweisungen sie befolgten. Nun ist mir auf meiner Balkonplantage leider noch nie ein derartiges Wesen erschienen, und ich nehme an, daß es den meisten Zeitgenossen ebenso geht. Das Experiment des WDR allerdings deutet an, was es für erfolgreiches Basteln mit dem Naturbaukasten braucht: All you need ist love.

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