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Im Halbdunkel

„Die Vermummten“ von Ilan Hatsor — ein Palästinenser-Stück in Hamburg  ■ Von Lore Kleinert

Der erste Blick auf die palästinensischen Brüder ist mühevoll, die Bühne ist dunkel. Sie sprechen in ihrer Sprache, heftig und laut — ein Streit? Während das Gespräch jäh, von einem Satz zum anderen, in unsere Sprache wechselt, bleibt es dunkel. Zwei sprechen jetzt über den Verrat eines dritten, des ältesten Bruders Da'ud. Er sei ein Kollaborateur der israelischen Besatzungsmacht, mutmaßt der eine; der andere verteidigt ihn, der blieb und die Familie ernährt, gegen den, der in die Berge zu den „Vermummten“ ging. Stimmen des Mißtrauens, des Zorns, Stimmen im Dunkeln, die immer schwerer auszuhalten sind, je länger sie gesichts- und körperlos bleiben. Regisseur Arie Zinger macht den Einstieg in die Geschichte der drei Brüder im besetzten Palästina so unzugänglich wie möglich, und indem er sie ins Dunkle taucht, entfacht er Haß und Angst, im Schatten auch unseres geringen Wissens um die Geschichte dieser Menschen wird die Frage nach ihrem Leben unter der Intifada, nach ihren Gesichtern, ihren Körpern stark und bedrängend.

Im grellen Licht der langen zweiten Szene ihres Wiedertreffens werden wir dann zunächst damit konfrontiert, um wieviel größer und furchteinflößender die Stimmen im Dunklen waren als die Menschen. Klein und jung sind die Brüder: Na'im, der Revolutionär im weltweit passenden Khakizeug, der im Auftrag seines Kampfkomitees Menschen liquidiert, die man für Verräter hält; Khaled, der Jüngste, der zwischen beiden steht und den Ältesten zum heimlichen Verhör lockt. Da'ud, der als Tellerwäscher in einem Restaurant in Tel Aviv die Familie ernährt, mit braunem Käppchen und altmodischem Anzug angetan, trägt ein Olivenglas unter dem Arm und stellt gleich zu Beginn die Schlüsselfrage des Stücks: Wozu sind Brüder denn da? Ihm vor allem ist es zu verdanken, daß sich allmählich das Gefühl für die wirklichen Proportionen der Menschen wieder einstellt, daß ihre Positionen menschliches Maß annehmen. Er rückt ins Zentrum, kämpft darum, sein „kleines, ruhiges Leben“ zu retten, mit Naivität und Witz zunächst, mit Ausreden und Lügen, schließlich mit dem Angriff auf den Bruder, dessen „Vermummte“ sein Haus auch ohne Beweis zerstören.

Dominique Horwitz gelingt es, die Geschichte dieses Mannes, dessen Baby bei einer Aktion der Armee Gas einatmet und dessen jüngster, vierter Bruder bei einem solchen Angriff zum „lebenden Leichnam“ wurde, dem Dunkel zu entreißen. Mit genauen Gesten, der Sprache seines ganzen Körpers, zeigt er ihn als Mann, der seine Familie schützen will, der sich gegen die Zumutungen eines „revolutionären“ Kampfes zur Wehr setzt. Als eines seiner Motive für die Zusammenarbeit mit den israelischen Behörden offenbart er schließlich auch die Liebe zum Bruder, dem Intifada-Kämpfer, den er ebenso schützte wie dieser ihn. Doch als er selbst zur Waffe greift und den Bruder fesselt, hat sich die Spannung des Anfangs längst verloren in der blutleeren Erörterung möglicher Sichtweisen von Verrat und Kollaboration.

Ilan Hatsor, 1964 in Haifa geboren, will mit seinem Stück „einem jüdisch-israelischen Publikum seinen Feind näherbringen“, will das Fremde, Bedrohliche eines mörderischen Kriegs zurückführen auf die, die ihn führen, Menschen ebenso wie ihre Opfer. Johannes Grützkes Bühnenbild, ein plakativer Prospekt über die volle Läge der Bühne, deutet ein Schlachthaus an, mit grünen Kacheln, von denen Khaled zu Beginn das Blut wäscht. Zwischen den Tieren auf den großen, grellfarbigen Bildern, einer Herde auf dem Weg zum Schlachter, gehen Menschen und rufen die Mythen wach, mit denen Menschenopfer befrachtet sind. So öffnet sich der schmale, fast leere Raum der Brüder, dessen eiserne Tür verschlossen bleiben wird, zum breiten Assoziationsraum, zum uralten Kampfplatz des Menschentiers.

Doch Hatsors Wunsch, den Zuschauer „in die Feindeswelt hineinzuziehen, ohne ihn von vornherein abzustoßen“, fehlen in dieser europäischen Erstaufführung einige Voraussetzungen. Die Inszenierung wird der großen Sorgfalt, mit der der Autor die Motive seiner Brüder verständlich macht, nicht gerecht; Hatsor legt seine eigene Position als jüdisch-israelischer Theatermacher in jedem Augenblick offen, während der Regisseur, sein Landsmann Arie Zinger, ins Allgemein-Menschliche ausweicht. Schwerer noch wiegt, daß er die Konzentration auf die Reaktionen der einzelnen Brüder innerhalb des vorgebenen Dreiecks behindert; Khaled (Jacques Ullrich) und vor allem Ben Becker als Intifada- Kämpfer Na'im setzen Dominique Horwitz, der als ältester Bruder alle Register seines großen Könnens zieht, zuwenig entgegen. Ihre Zweifel, ihre Liebe, ihr Kampf gegen das, was sie Sklaverei nennen, gewinnen zuwenig Konturen, als daß die tödliche Ausweglosigkeit des Mordes an Na'um nachzuvollziehen wäre.

Wenn die Bühne in dieser letzten Szene wieder im Halbdunkel versinkt, illustriert sie nurmehr den brisanten Text von Ilan Hatsors Stück, statt ihrerseits Licht ins Dunkle zu bringen, mit den Mitteln des Theaters. Ohne historischen Hintergrund und inszenatorische Spannung versickert dieser ausweglos verstrickte Kampf zum Kammerspiel dreier Brüder. Das Stück Ilan Hatsors spürte dieses Besondere bis in die feinsten Verästelungen auf, doch in der Hamburger Aufführung wurde dem Publikum die Anstrengung, durch fremde Augen zu sehen, erspart. Aus dem Dunkel ins Halbdunkel — mühevoll der Weg zu den palästinensischen Brüdern.

Ilan Hatsor: Die Vermummten. Regie: Arie Zinger, Bühnenbild: Johannes Grützke, Kostüme: Barbara Naujok. Mit Jacques Ullrich, Ben Becker und Dominique Horwitz. Nächste Aufführungen: 22., 27. und 30.Mai.

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