Türkischer Präsident droht Armenien

■ Nach der Eroberung der aserbaidschanischen Stadt Latschin errichtet Armenien Hilfskorridor nach Berg-Karabach/ KSZE-Beratungen über Krisenregion verschoben/ Politische Krise in Baku wächst

Ankara/Baku (dpa/afp) — In der Türkei werden die Forderungen nach einer militärischen Intervention in den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt immer lauter. In einem am Dienstag erschienenen Zeitungsinterview forderte der türkische Präsident Turgut Özal die umgehende Entsendung von Truppen in die umkämpfte autonome aserbaidschanische Republik Nachitschewan, schloß aber auch Berg-Karabach aus seinen Überlegungen nicht aus. Und auch die türkische Regierung richtete nach einer Sondersitzung deutliche Worte an Armenien: Dieses befinde sich auf einem „außerordentlich falschen Weg“. Es sei „besorgniserregend für die Region und unglücklich für die neue Republik Armenien“, daß dieser Staat „seine Existenz auf eine Politik des aggressiven Expansionismus errichtet“ habe.

Anlaß für die scharfe Erklärung der türkischen Regierung war die Eroberung der aserbaidschanischen Stadt Latschin durch armenische Truppen am Montag. Dadurch konnten die Armenier einen Korridor zwischen der zu Aserbaidschan gehörenden, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnten Enklave Berg- Karabach und der Republik Armenien schaffen, der nun zur Versorgung der seit Monaten unter einer Blockade leidenden Enklave benutzt werden soll.

Darüber hinaus hat nach Ansicht Istanbuls Armenien nun auch Angriffe gegen die autonome Republik Nachitschewan eingeleitet. Da die Türkei diese nicht hinnehmen könnte, sei sie immer bereit, Nachitschewan zu helfen. Schließlich sei bekannt, daß die zwischen Armenien, dem Iran und der Türkei liegende Republik basierend auf den 1921 in Moskau und in Kars unterzeichneten Verträgen einen besonderen Status habe. Diese Verträge gäben der Türkei Mitspracherecht über das Schicksal Nachitschewans. Nach Meldungen aus Istanbul griffen die Armenier die unweit der türkischen Grenze liegende Stadt Sadarak mit Panzern an und würden dabei von Soldaten der 7. GUS-Armee unterstützt. Im Gegensatz zur Version der Türkei beschuldigte Armenien dagegen Aserbaidschan, das armenische Tal Ararat von Nachitschewan zu bombardieren. Bei den Kämpfen waren am Montag mindestens 11 Menschen getötet und 40 weitere verletzt worden. Gleichzeitig gestand man in Eriwan jedoch eine Beteiligung bei der Eroberung Latschins ein. Auf einer geschlossenen Sitzung des armenischen Parlaments sagte Verteidigungsminister Wasgen Sarkisjan, Armenien habe trotz der schwierigen sozialwirtschaftlichen Lage alles getan, um Berg-Karabach wirtschaftliche und militärische Hilfe zu leisten. Dadurch hätte die Blockade von Berg-Karabach durchbrochen werden können.

Die Einnahme Latschins beeinflußte auch die Beratungen des Auschusses Hoher Beamter der KSZE in Helsinki. Da der Sprecher der aserbaidschanischen Delegation den Ausschluß der Armenier von den Gesprächen über Berg-Karabach forderte, wurden diese vertagt. „Seit die Armenier begonnen haben, Orte außerhalb ihres Gebietes anzugreifen“, ist nach Ansicht eines Delegierten zudem auch die für den 7.Juni geplante Friedenskonferenz über Berg- Karabach ernsthaft gefährdet.

Aus Aserbaidschan kamen am Dienstag nachmittag immer dramatischere Korrespondentenberichte. Nach der militärischen Niederlage in Latschin drohe die Kaukasusrepublik zu zerbrechen, die innenpolitische Krise des Landes scheine aussichtslos. Unterdessen ging in Baku der Umbau der politischen Institutionen weiter. Am Montag abend wurden die Befugnisse des bisherigen Obersten Sowjet auf eine neugeschaffene Volksvertretung, die sich nach iranischem Muster Madschlis (Versammlung des Islamischen Rates) nennt, übertragen. Ebenfalls am Montag bestimmte das Parlament den dritten Präsidenten innerhalb von fünf Tagen: Unter dem Druck von Massendemonstrationen wählten die Parlamentarier mit 248 gegen 14 Stimmen den 35jährigen Orientalistikprofessor Isa Gambarow zum Interimspräsidenten. Gambarow, einer der Mitbegründer der nationalistischen Volksfront, soll das Land bis zur Wahl eines neuen Staatsoberhauptes am 7. Juni führen.