: Sandmann der Nation
■ US-Talkmaster Johnny Carson geht in Rente
New York (dpa/taz) — Ein Zeitalter geht am 22.Mai für Amerikas Fernsehzuschauer zu Ende, wenn Johnny Carson (66), der unbestrittene König der nächtlichen Talk-Shows, zum letzten Mal Tonight Show moderiert. Seit dem 1.Oktober 1962 begrüßte Carson mehr als 22.000 namhafte und weniger namhafte Gäste in seiner werktäglichen Sendung. Sie schloß eine halbe Stunde vor Mitternacht New Yorker Zeit rituell den amerikanischen TV-Tag ab.
Die US-Medien scheinen allesamt das jedem Amerikaner vertraute Gesicht auf der Titelseite zu haben. „Amerikas Sandmann“, wie der Mitternachts-Plauderer in der 'New York Times‘ genannt wird, hatte seine Medienkarriere bei einem Radiosender in Nebraska begonnen. 1950 zog er nach Los Angeles und ging zu KCBS-TV, einer lokalen TV-Station, wo er seine eigene Sendung moderierte. Im Alter von 29 Jahren bekam er seine erste landesweite Show bei CBS. Der Urvater der Fernseh-Talk-Show gewann im Laufe seines Lebens sechs Emmy Awards und wurde zum Mann des Jahres und zum Entertainer des Jahres gewählt.
Carson war nie ein ganz böser Sandmann: Zwar hatte und hat er eine derart souveräne Position, daß er mit gnadenlosem Witz die Schwächen und Eitelkeiten der Politiker bloßlegen kann — ungeachtet aller Bemühungen der PR-Manager, Ehrfurcht bei den Wählern aufzubauen. Doch blieb Carson dabei immer grundsätzlich staatstragend und mehrheitsfähig. Präsident Bush, vom Talkmaster ständig lächerlich gemacht, kann nach Überzeugung vieler Kommentatoren froh sein, daß sich sein populärster Kritiker fünf Monate vor dem Wahltermin verabschiedet. Am Vize Dan Quayle hat der Talk-Master ohnehin kein gutes Haar gelassen.
Das heißt aber nicht, daß er sich nur auf die Republikaner eingeschossen hätte. Carson übernahm seine Show schließlich in der Amtszeit John F. Kennedys. Der Präsident wurde genauso Opfer seiner Späße wie Senator Ted Kennedy, über dessen Schürzenjägereien Carson regelmäßig informierte. Als Beitrag zum Entschluß Lyndon B. Johnsons, nicht wieder zu kandidieren, wurde Carsons Bemerkung bewertet, der Vietnam-Krieg sei „stupide und sinnlos“. Nixons Watergate-Skandal führte er so volksnah vor, daß kein Weg mehr am Rücktritt vorbeiführte. Und Reagans Präsidentschaft stufte er als „nebelumwölkte Charade“ ein.
Carson durfte sich, weil er Einschaltquoten wie kein anderer brachte (Rekord: 45 Millionen Zuschauer, Durchschnitt: etwa 15) sogar über sein Network lustig machen. Die düpierten Mächtigen des Senders NBC beschäftigten ihn trotzdem weiter und bezahlten ihm Jahr für Jahr Millionen. Für seine letzten 111 Shows bekam er etwa 20 Millionen Dollar. Die Politik allerdings war nur ein Nebenaspekt in der Tonight Show. Carson hat auch viel dazu beigetragen, junge Künstler, die „aus der falschen Ecke“ kamen, zu Superstars zu machen, Barbra Streisand beispielsweise in den 60ern, Eddie Murphy in den 80ern.
Johnny Carson (Vier Ehen und reichlich Alkoholsucht) hielt sich 30 Jahre lang auf dem Schirm, weil er so zuhören konnte, daß seine Gesprächspartner und sein Publikum stets den Eindruck haben mußten, es gehe um wirklich Wichtiges.
Der Pay-TV-Kanal „premiere“ zeigt Carsons letzte Talkshows jeweils um einen Tag zeitversetzt und unverschlüsselt (auch ohne Decoder empfangbar) noch bis zum 23.Mai, immer um 24Uhr. Im Zweikanalton können sowohl die übersetzte als auch die Originalversion geschaut werden.
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