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Reine Geschmacksfrage, was sonst!

■ Ulla Berkéwicz las in »Wolff's Bücherei« aus »Engel sind schwarz und weiß«. Ein Versuch in Basic Instinct.

Kein Pardon. Statt dessen: »Ein Tag ohne Essen. Eine Woche nicht spielen. Und das Rachele siehst du nie wieder, hatte der Vater geschrien. Rachele hatte sie geheißen, war weich und weiß gewesen. Weiß und heilig. Und sie hatten doch nur Vater und Mutter gespielt...« Ein Zittern liegt in der Stimme, das nicht von der Naivität der Sätze, sondern dem Pathos der Gesinnung herrührt. Die Autorin Ulla Berkéwicz liest nach vier respektablen Erzählbänden und einem Theaterstück aus ihrem neuen Roman: Engel sind schwarz und weiß.

Auf dem Cover des Buchs: Nike von Samothrake, die griechische Statue der geflügelten Siegesgöttin, die einst zum Jubel über die Niederlage des Syrers Antiochos einen Schiffsbug zierte und nun — kopflos — im Louvre in Paris steht. Das Thema des Romans ist weit grausamer. Der Versuch, die Innenwelt des kleinen Nazis Reinhold darzustellen, ein Täteropfer, das das jüdische Nachbarskind Rachele begehrt, Hitlerjunge wird, in den Krieg zieht, versehrt wird, sich eines Besseren besinnt.

In Aussagesätzen, nichts als Aussagesätzen in tiefster Vorvergangenheitsform, liest sich die Innenwelt des Nazischweins so: »Ein deutscher Junge weint nicht, hatte der Vater gesagt, muß gerade sitzen, Hände auf die Knie, Augen auf die Hände. Die Mutter, die Magda, stand am Spülstein, schabte und schälte, durfte ihn nicht ansehen, der Vater hatte es verboten. Der Vater hatte den schwarzen Anzug angezogen und das weiße Hemd, hatte Hut und Mantel vom Haken genommen, die Tür aufgerissen, war rausgelaufen, hatte die Tür ins Schloß geschlagen.« Wer hält das lange aus? Das Markerschütternde, den Schwulst und Bedeutungsterror, unaufgehoben in jeder Hinsicht, reflexionslos und stur.

Ist nicht gerade dies das Programm einer Frau, die 1982 mit der Detailstudie und ihrem Erstling über den Tod: Josef stirbt, eine neue Sprache gefunden zu haben schien? Programm ja, aber eines, das die hehre Absicht nicht einlösen kann und statt dessen im Vulgärpathos eines durch und durch konstruierten Innenlebens erstickt. Zurück bleibt Anbiederung, versehentlich.

Intimfreunde sind zu »Wolff's Bücherei« gekommen, der kleinen feinen Buchhandlung an der Bundesallee, Ulla Berkéwicz lesen zu hören, die ihr Künstlerinnenleben als Schauspielerin begonnen hat. Männer und Frauen, die die Autorin liebkosen, von ihr liebkost werden. Ein eurythmischer Zirkel, nur trägt man hier noch eine etwas andere Brillenform. Und Ulla Berkéwicz liest atemlos, brachial im Anspruch und der Ausführung. Wenn sie liest, nimmt man ihr das Ungeheuerliche ab. Betroffene spenden Beifall.

Auch der Suhrkamp-Verlag umhegt seine Ulla Berkéwicz (warum, das lesen Sie am besten im 'Spiegel‘ Nr. 17/92 nach). Alle, die Berkéwicz recht geben, haben eine statistisch überdurchschnittliche Chance, namentlich in einer der zahlreichen Werbebroschüren Erwähnung zu finden. Die Lobeshymnen auf die Autorin reichen von Benjamin Henrichs und Urs Burgmann über Robin Detje zu Wolfgang Koeppen. Auffallend einhellig ergötzen sich die Rezensenten an Berkéwicz' »Beschwörungsformeln von beklemmender Authentizität«, der »abgründig melancholischen Wirklichkeitsbeschwörungsgeschichte«, den »Worten, die dort ihre Wirkung tun, wo es mächtig ist — in der Phantasie und Imagination«. Der Wille hinter diesen Urteilen heißt: Wir wollen verzaubert und beschworen sein.

Der Lektor der Autorin, der bei der Lesung zu einer langatmigen Einleitung ausholen darf, täte gut daran, als Grund für die »kontroverse Rezeption« nicht das »hochpolitische Thema« des Romans vorzuschützen. Die vernichtende Kritik, die Peter Stolle im 'Spiegel‘ geschrieben hat, kündigt Ulla Berkéwicz nichts weiter als den guten Willen auf, sich von der sprachlichen Angleichung an das Menschenfeindliche faszinieren zu lassen. Mit einem Federstrich ist das, was Ulla Berkéwicz schreibt, »spätexpressionistischer Kitsch« und »wabernde Großraumprosa«. Lange hat man der heute 40jährigen Autorin den Gefallen getan, ihre Bücher unbemerkt als Geschmacksfrage zu verhandeln. Geschmacksfragen haben ohnehin ihre unbedingte Berechtigung — vor jeder Analyse.

Dieser Gefallen hat sich in der Erfolgsbilanz des Suhrkamp-Verlages niedergeschlagen, schon vorab vermeldete er 9.000 Bestellungen. Vor allem stärkt er das Bewußtsein der Selbstbewußten. Berkéwicz kennt das Geheimnis ihres Erfolges: Wen interessiert denn im Ernst, ob ein Buch gut — mimetisch und kritisch zugleich — ist? Es reicht doch, sich ihre furiose Stimme für 20 Mark zu kaufen, die Kassette in den Recorder seines Autos einzulegen und sich auf dem Weg zum Berliner Wahllokal die ein oder andere kleinbürgerliche, faschistoide Anwandlung reinzupfeifen. Mirjam Schaub

Ulla Berkéwicz: Engel sind schwarz und weiß. Roman. Suhrkamp, 352 Seiten, 38 Mark. Tonbandkassette, 60 Minuten, 20 DM.

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