»Kanaken With Attitude«?

■ HipHop, Graffiti und Gang-Banging in Berlin — am Beispiel der in Kreuzberg agierenden »Glorious Five Artists«

HipHop schwirrt nun schon im zweiten Jahrzehnt als schwammiger Oberbegriff für die Tanzbewegung goldkettenschwingender Markenturnschuhaktivisten aus mittlerweile Ost und West durch die Gazetten. Dabei führt die hiesige Szene akribisch Buch über ihre Chronologie, über Verbindungen und Verbindlichkeiten. Der Stammbaum ist gewaltig und in seinen Verästelungen nicht immer leicht nachzuvollziehen. 1982 entstand in Berlin der ureigene Electroboogie mit den Veteranen »Tod Durch Breakdance«. 1983 tanzte bereits die zweite Generation mit »Glorious Five Artists« ihren ganz persönlichen Stil. Damals wurden in einschlägigen Clubs noch Gesichter auf den vielgeschmähten Türken- Schnauzbart kontrolliert. Heute zieren Rundbärte jedes zweite, offensichtlich deutsche Szenegesicht.

Eugen alias Yoogcen sprießt zwar nur ein leichter Flaum um das Kinn, in Sachen HipHop gehört er allerdings zu den Drahtziehern der Gründertage. Mit 14 Jahren hatte er 1983 als Breakdancer begonnen, war 1987 zur Graffiti-Kunst übergewechselt und agiert heute als Rapper bei den Glorious Five Artists, weil er »die größte Klappe« hat. Als Microphone Commando der Band überlegt er seine Sätze trotzdem sehr genau, wie sich beim Gespräch herausstellt. Ganz Minister of Information.

Heikle Themen gibt es in der Diskussion um HipHop genug: Bandenkrieg, soziale (Des-)Integration und eine ausländerfeindliche Wirklichkeit — auf irgendeine Weise kommt keine Partei, selbst nicht die etablierten, an diesen Realitäten vorbei. Eugen als Sprecher der Glorious Five Artists hat dazu ziemlich klare Ansichten: »Wir nehmen grundsätzlich Abstand von der Gewalt. Da Presse und Parteien ständig die tatsächlichen Vorfälle verzerren oder übertreiben, spielt für uns education, das heißt Aufklärung, eine große Rolle. Sie allein nützt allerdings auch nicht immer. Auf Skinübergriffe wird dann eben am 1. Mai geantwortet. Der Vorwurf, daß alles im eigenen Kiez verbleibt, daß wir ausschließlich in Kreuzberg agieren, ist allerdings absurd. Natürlich sollte man die Aktionen in den Grunewald verlegen, aber es ist allein schon technisch gar nicht möglich, zweitausend Demonstranten dorthin zu schaffen.«

Auch die Bandenkriege haben sich inzwischen gelegt. »Früher gab es häufig Zoff. Kreuzberg gegen Wedding. Aber die ganzen Gangs in der Stadt existieren schon viel länger. Jetzt fallen sie stärker ins Gewicht, da die geburtenstarken Jahrgänge dazugekommen sind. Insgesamt handelt es sich um eine Entwicklung, die historisch so ähnlich auch in den zwanziger Jahren stattgefunden hat. Die damalige Wirtschaftskrise hat extreme Gruppen gefördert. Heute ist es die ausländerfeindliche Politik, die zur Folge hat, daß sich viele junge Türken oder Asiaten organisieren.«

Die meisten Mitglieder der Glorious Five Artists sind in Berlin aufgewachsen — wählen dürfen sie trotzdem nicht. Rock J, einer der DJs, kam im Krankenhaus Moabit zur Welt und lebt seitdem in der Turmstraße in Berlin-Tiergarten. Ihre familiären Wurzeln haben alle Mitglieder der Crew allerdings in anderen Ländern: Thailand, Kroatien, Swasiland. In der Gang lebt und hält man zusammen, veranstaltet Feten, tanzt und übt sich in der Kunst des Graffiti. Sie sind der größte gemeinsame Nenner. Jede freie Stunde wird »tags«, »bombing« und großflächigen Wandarbeiten gewidmet. Zuerst übt ein zukünftiger Sprayer die »tags«, kunstvoll geschwungene Namenszüge und Buchstabenreihen. Beim »bombing« geht es darum, mit dem Edding in der U-Bahn möglichst schnell sein Logo in die Öffentlichkeit zu bringen — auf Sitzen, Waggons und Fenstern. Erst nach diversen Lehrjahren verstehen sich die Sprayer endlich auf die üppigen Arbeiten an ganzen Zügen oder Häuserwänden. Da die BVG die Malereien noch immer als »Geschmiere« beseitigt, ist der ganze Stolz des Sprayers ein Wagen, der trotz der Bemalung zum Einsatz kommt. Als die Mauer fiel, war dieses Ereignis auch die Stunde der Sprayer. Seitdem wird der Osten regelmäßig mit Graffiti überzogen.

Graffiti-Culture wird, wie HipHop allgemein, von Männern dominiert. Bei den Glorious Five Artists ist eine der wenigen Frauen des Metiers dabei: »Gina« hat es neben ihren männlichen Gangkollegen bis zur Teilnahme am »1st Berlin Graffiti- Meeting« geschafft. »Cage« allerdings wird als der »echte« Künstler innerhalb der Gruppe gehandelt. Sein Stil, eine Mischung aus Fantasy und Fernost, bringt ihm häufig sogar äußerst lukrative Auftragsarbeiten ein. Für den Rest sind die Graffiti der Versuch, sich eine Zukunft als Grafiker aufzubauen.

Allmählich scheint aber auch die musikalische Karriere voranzukommen, eine CD ist in Planung. Stilistisch am baßlastigen Miamisound und GoGo angelehnt, benützen die GFA, wie so viele andere Bands, manchmal auch Filmmusiken oder Doors-Schnipsel für ihre Samples. Was Messages und Lebensgefühl anbelangt, sind Niggers With Attitude der Haupteinfluß aus der amerikanischen Rap-Szene, man hat sogar schon mit dem Gedanken gespielt, sich »Kanaken With Attitude« zu nennen.

Diese offensive Einstellung unterscheidet die Glorious Five Artists von der eher »friedliebenden« Szene, die im Ostteil der Stadt, in Hellersdorf und mit Sitz im Jugendklub »Die Insel«, um die SWAT-Posse gewachsen ist. Dort hat man mitunter Angst vor den Gangs aus dem Westen, versucht, jede Konfrontation oder Gewalt zu vermeiden. Doch über die Graffiti kommen sich Ost und West auch allmählich näher. Vielleicht heißt es dann irgendwann »EWA« — »Everyone With Attitude«. Harald Fricke

Die Glorious Five Artists werden, zusammen mit Tod Durch Breakdance, der »Wild Style Crew« und vielen anderen (nicht nur HipHop-) Acts am kommenden Samstag auf dem taz-Kongreß in der Kongreßhalle Ost, Alexanderplatz 4 zu sehen und zu hören sein, etwa ab 22 Uhr. Es gibt noch Karten! (im VVK 15 Mark, am tazCounter in der Kochstraße 18)