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»Freie Stimme der freien Welt« wird zum Kommerzradio

Berlin. Die Mitarbeiter des Auslandsfernsehens der Deutschen Welle sind sauer: Auf »ihren« Parkplätzen im Hof der Weddinger Voltastraße stehen seit neuestem zwei unförmige Container. Aus der PKW- Abstellfläche für Fernsehredakteure wurde eine Bürofläche für Radiomacher. Unter dem Namen »r.s.2« geht von hier aus ab 1. Juni das privatisierte RIAS2-Programm auf Sendung. Mit neuem Namen, aber gleichem Programm und rund 80 Prozent der Mitarbeiter begibt sich r.s.2 (jede phonetische Ähnlichkeit mit RIAS2 ist rein zufällig, ebenso wie die optische Übereinstimmung des Logos mit dem Logo des RIAS 2!) in den Kampf um Hörer- und Marktanteile. Dabei will Programmdirektor Jörg Brüggemann den bisherigen Wortanteil von 30 Prozent halten.

Den Mitarbeitern wurde in einer Redaktionsvereinbarung zugesichert, daß »r.s.2« ein »politisch unabhängiges und journalistisch qualifiziertes Radio« sein wird. Darüber hinaus können sie mit 5 Prozent in die »Radio Information Audio Service 2« des ehemaligen RIAS-Intendanten Peter Schiwy einsteigen. Neben Schiwy (44 Prozent) und dem Ku'damm-Rechtsanwalt Peter Heers (21,5 Prozent) sind hauptsächlich leitende RIAS-Angestellte an der Gesellschaft beteiligt. InfoRadio Berlin, das noch im Vorfeld der Lizenzentscheidung mit einer Klage gegen die Zulassung des Konkurrenten gedroht hatte, kann sich noch bis Ende 1993 überlegen, ob es eine Option auf 10 Prozent der Anteile wahrnehmen will.

Fünf Tage vor dem Sendestart herrscht hektischer Betrieb in Containern und Räumen von Media Port, der ehemaligen Kabelzentrale im Wedding. Inmitten des Provisoriums sitzt der neue Musikchef Martin Schülke und füttert den neuen Musikcomputer mit neuen Titeln. »Es war schon ein merkwürdiges Erlebnis, für 20.000 DM CDs zu kaufen«, meint Schiwy. Auch das einzige Studio ist noch nicht fertig. Zukünftig müssen sich die technikverwöhnten RIAS-Moderatoren als Selbstfahrer an einem ausgeborgten Mischpult profilieren. Von Lizenzerteilung bis Sendestart hat die Schiwy-Truppe ganze 33 Tage Vorbereitungszeit. Ursprünglich wollte sie im Stammhaus des RIAS in der Kufsteiner Straße bleiben, doch die Forderungen der Hausherren — 375.000 DM pro Monat für Technik und Räume — erschienen den hart rechnenden Privatfunkern zu hoch, zumal r.s.2 in den ersten drei Sendemonaten keine Werbung ausstrahlen darf. Um den Wettbewerbsvorteil, den r.s.2 gegenüber anderen Privaten hat, auszugleichen, ist die Werbezeit bis Ende 1993 auf fünf Minuten pro Stunde begrenzt. Auf r.s.2 verzichten müssen die Hörer des Senders Hof. Er gehört nicht zur Erbmasse von RIAS 2, sondern wird zum Verdruß der dortigen Fangemeinde zum 1. Juni abgeschaltet. mail

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