: »Wir lassen uns nicht ständig demütigen«
■ »Insider-Komitee« aus ehemaligen Stasi-Mitarbeitern will zur Aufklärung beitragen/ Gauck soll Hetze einstellen/ Verfassungsschutz befürchtet Verschleierung
In der vergangenen Woche hat sich in Berlin das »Insider-Komitee zur Aufarbeitung der Vergangenheit des MfS« konstituiert. Auf der Gründungsversammlung, an der etwa 20 ehemalige Mitarbeiter verschiedener Abteilungen des MfS teilnahmen, hieß es, durch »eine objektive und kritische Erforschung und Darstellung der Tätigkeit« der Stasi solle ein Beitrag zur »Analyse der deutschen Nachkriegsgeschichte« geleistet werden. Dazu ein Interview mit dem Komitee-Sprecher Jörg Seidel. Der 31jährige Ex-Oberleutnant war früher in der MfS-Spionageabwehr gegen die amerikanischen Geheimdienste tätig und IM-führender Mitarbeiter. Heute ist er ABM-Kraft beim Arbeitslosenverband und gehört der PDS an.
taz: Der Verfassungsschutz argwöhnt, das Komitee sei eine Art Geheimbund, der die Enttarnung von Agenten verhindern und sein Wissen für Erpressungen mißbrauchen werde.
Jörg Seidel: Wir wollen über die Arbeit des MfS sachlich und objektiv in der Öffentlichkeit berichten. Deswegen nennen wir uns auch Insider-Komitee, weil wir sagen, wir haben diese Arbeit gemacht und können deshalb am besten darüber Rede und Antwort stehen. Unser Ziel ist es, endlich die Mystifizierungen zu beenden, die über dieses Organ existieren. Von Verschleierung und Geheimbünden kann keine Rede sein.
Heißt das, daß das Komitee demnächst einige verschwundene Akten aus der Versenkung hervorzaubern und mit der Gauck-Behörde zusammenarbeiten wird?
Wir haben im Komitee keine einzige Akte. Über Akten verfügen Mitglieder der Bürgerbewegungen, Journalisten und die Gauck-Behörde.
Und was ist mit den vielen verschwundenen Unterlagen?
Da müssen Sie mal die Mitglieder der Bürgerbewegungen und die Journalisten fragen. Ich kenne keinen Mitarbeiter des MfS, der über Akten verfügt. Zur Gauck-Behörde ist zu sagen, daß wir uns bereit erklärt haben, sie bei Gutachten zu unterstützen. Das heißt aber nicht bei irgendwelchen Gutachten, sondern bei wirklich sachlichen Gutachten, die einem Richter standhalten.
Was soll das heißen?
Was Herr Gauck zu Herrn Stolpe herausgegeben hat, sind keine Gutachten und keine Rechercheergebnisse. Ich spreche der Gauck-Behörde die Kompetenz ab zu wissen, warum die Akten so und so angelegt, und manche Dinge so und nicht anders verfaßt wurden. Dazu ist die Behörde einfach nicht in der Lage. Um das herauszufinden, muß man schon die Leute hinzuziehen, die die Akten angelegt haben. Deswegen nennen wir uns auch Insider-Komitee. Wir haben die Wahrheit nicht gepachtet, aber wir sind diejenigen, die man schon dazu mitbefragen sollte.
Haben die Komitee-Angehörigen im Fall Stolpe der Gauck-Behörde schon ihre Mitarbeit angeboten?
Wenn Herr Gauck sich anders verhalten würde, würden sich manche Mitarbeiter bestimmt zur Zusammenarbeit bereit erklären. Aber dazu müßte Herr Gauck endlich mit seinen Haßtiraden und Lügen aufhören und das Material objektiv begutachten.
Also wenn Herr Gauck keine »Besserung« gelobt, ist das Komitee nicht zur Zusammenarbeit bereit?
Das geht nur, wenn wir gleichberechtigte Partner sind. Wir kommen dort doch nicht als reuegebeugte Schuldner angekrochen und lassen uns ständig demütigen.
Was will das Komitee dann überhaupt noch tun?
Wir wollen rein objektiv betrachten, was hat sich warum abgespielt. Wenn wir das gemeinsam offenlegen, kommt auch der Zeitpunkt, wo über beteiligte Personen gesprochen wird. Ich weiß, daß es Personen gibt, die IMs waren und die bereit sein werden, sich zu bekennen und über die Gründe zu sprechen. Aber vorher muß die objektive Geschichtsanalyse erfolgen, für die Namen erst mal keine Rolle spielen, sondern nur Fakten. Wir verständigen uns bereits mit Leuten von der Bürgerbewegung.
In den »Standpunkten und Prinzipien« distanziert sich das Komitee von MfS-Mitarbeitern, die Rechtsnormen der DDR verletzt haben. Was soll das heißen?
Sobald man Mitarbeitern des MfS nachweisen kann, daß sie kriminell gehandelt haben, indem sie gegen das Strafgesetzbuch der DDR und gegen die Dienstvorschriften des MfS verstoßen haben, sind wir dafür, daß sie vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden. Aber das muß man beweisen und nicht ständig nur Gerüchte in die Welt setzen, wir hätten Leute ermordet. Was unsere Mitverantwortung angeht, so trage ich eine moralische Schuld, daß ich trotz besseren Wissens über dieses Organ nicht meine Möglichkeiten genutzt habe, mich gegen bestimmte Praktiken und Machenschaften zu stellen. Aber alles andere ist Ablauf der Geschichte, und dazu steht das Komitee auch. Interview: Plutonia Plarre
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