Moderne Zeiten

■ Stephan Eicher in Berlin — ein leicht halluzinophiler sommerlicher Offstage-Bericht

Es ist eine seltsame und wirre Zeit. Das Ozonloch lauert über der Stadt, kein Mensch glaubt mehr an die Sonne. Das ist die Wirklichkeit, gegen die nicht einmal Alkohol hilft. Abends wird man nicht mehr richtig betrunken, und morgens kommt man sich nicht besonders nüchtern vor. Moderne, halluzinophile Zeiten: Statt weißer Mäuse sieht man Stars. Henry Rollins steht an der Friedrichstraße und versucht, Kleingeld für den Fahrkartenautomaten zu wechseln. Er wird einfach stehengelassen, schließlich ist er Rollins genug, um schwarzzufahren. Am Ku'damm fliegt der alte Herman Brood aus einem Kinopalast raus, nur weil er ein wenig weltfremd und zugedrogt den Weg zur nächstbesten Toilette gesucht hat. Armer Herman, ist immer noch high.

Eine Stunde später lassen sich diese ganzen Stars dann nicht mehr ignorieren, beim besten Willen nicht. Prince tobt in einer Stehpizzeria am Nollendorfplatz vorbei, seine Tarnung als venetianischer Gondoliere wirkt reichlich deplaziert. David Byrne findet trotz aller Schwierigkeiten den Weg in die einzige multikulturelle Stätte der Stadt zurück, das Spielkasino im Steigenberger Hotel. Die Stars haben gesiegt.

Es gibt auch kleinere, eigentlich ganz sympathische, solche, wie Stephan Eicher einer ist. Sollen die Kritiker ruhig unken, sollen sie doch schreiben, er wäre bloß ein Schmalspurpapagallo, der den Mädels den Kopf verdreht, einer, der, wenn es dann zur Sache ginge, nicht einen guten Song hinkriegt in seiner affigen französelnden Art.

Schon bei der Akustik-Session im kühlen Kulturkaufhaus fnac hätten sie sich eines Besseren belehren lassen können. Eicher, ganz allein mit seiner Gitarre, schlug sich mehr als wacker. Doch statt der Kritikerklientel waren wieder fast nur Frauen zu Stephan gekommen, und welche Typen interessiert es denn schon, was die Freundin gut findet, solange sie noch den Weg nach Hause findet?

Dabei ist der Barde aus dem Schweizerischen gar nicht so ein halbseidener Rosenkavalier, so ein Alpencasanova, sondern harter Arbeiter. Sein Tagesablauf sah nach dem fnac-Auftritt wie folgt aus: »Ich bin mit einer großen Limousine zum Hotel gefahren worden, sehr schön, nur ich war darin etwas zu klein. Der Chauffeur wollte nicht auf mich warten, weil er James Last irgendwo abholen mußte. Immerhin war ich vor Last an der Reihe gewesen. Im Hotel dann kurz umziehen, später in ein Restaurant an einem Fluß.

Dort standen die ganzen Chefs von meiner Plattenfirma herum, warteten auf die Snacks, den Sekt und was weiß ich und schüttelten meine Hand, bis das Büffet eröffnet wurde. Ich habe auch einen interessanten Typen aus Amerika kennengelernt, dem ich erklären mußte, warum ich eigentlich nicht so gerne nach Amerika gehen möchte. Ach ja, und die Scorpions waren auch da.

Danach ging es zu einer Fernsehsendung vom Sender Freies Berlin. Dort hat mich Detlev Frank geschminkt — sein Name stand auf allen Pudertöpfen — aber leider nicht sehr liebevoll. Währenddessen haben ein paar Freunde schon mal zu Probeaufnahmen den »französischen Kultstar Stephan Eicher« gemimt. Später spielte die richtige Band, natürlich alles Playback, deshalb saß der Gitarrist am Schlagzeug und der Schlagzeuger spielte Baß. Die Sendung hatte einen Männernamen, obwohl sie von einer Frau moderiert wurde. Als Gäste waren außerdem der Hochhuth und Ingrid Steeger eingeladen.

Endlich war dann der Tag vorbei, und wir wollten alle zusammen in irgendeine Bar gehen und was trinken. Doch dann hat mir ein Mensch vom Radio noch Sessionbänder mitgegeben, die wir am Tag zuvor im SFB- Studio mitgeschnitten hatten. Also saß ich den Rest des Abends im Hotel und habe die Songs durchgehört. Irgendwann habe ich dann noch kurz den Fernseher eingeschaltet und eine alte Freundin von mir in irgendeinem Film gesehen. So bin ich eingeschlafen.«

Sprach's, lachte und verschwand in einem Kleinbus, der zurück zum Hotel fuhr. Sein Konzert dann abends im Loft war genauso schön wie tags zuvor. Harald Fricke