: Nicht reden, handeln steht an
Europas größte Gegenkonferenz zum Rio-Gipfel findet derzeit in Freiburg statt/ Umweltschutzgruppen diskutieren mit Vertretern der Dritten Welt ■ Von Marion Rizzetti
Freiburg (taz) — „Ihr könnt gerne zu uns kommen, um euch zu informieren. Aber in unseren Ländern kämpfen wir — sorgt ihr hier, bei euch zu Hause, daß sich etwas verändert.“ Mit dieser Aufforderung traf Meena Raman, Mitglied des Netzwerks Dritte Welt aus Malaysia, den Nagel auf den Kopf. Denn die Leute wollen ja was tun.
„Warum ich hier bin? Ich möchte zeigen, daß das, was die Politiker in Rio sagen, nicht das ist, was die Leute wirklich wollen. Ich will ein Zeichen setzen, es versuchen, besser zu machen als die in Rio“, beschreibt ein junger Mann aus Berlin sein Motiv für die Reise nach Freiburg. Denn „hier“, das ist das UNSAID-Festival, das vom 6.— 12.06 in Freiburg stattfindet; die in Europa derzeit größte Gegenkonferenz zu dem Umweltgipfel in Rio. Rund 800 TeilnehmerInnen aus 27 meist europäischen Ländern, darunter auch Albanien, Kroatien, Slovenien, Serbien und Weißrußland, sowie Sprecher aus der ganzen Welt haben sich hier zusammengefunden, um die Diskussion über die globalen Krisen selbst in die Hand zu nehmen.
Doch nicht nur Diskussionen und Vorträge stehen auf dem Programm. Vielmehr soll den sinnentleerten Diskussionen in Rio eigenes positives Tun entgegengestellt werden. Dazu gehört, ebenso wie Müllvermeidung und weitgehender Verzicht auf Strom aus der Steckdose durch Verwendung von Solarenergie, auch die Einführung eines gerechten Wirtschaftsystems auf dem Festivalsgelände.
Bezahlt wird hier nicht mit DM sondern mit ECOs. Ein ECO kostet beispielsweise für einen Deutschen mehr als für einen Ungarn. Berechnet werden die Kosten für einen ECO nach der Wirtschaftsstärke des Herkunftlandes. Den wohlklingenden Reden von Rio setzen die Teilnehmer in Freiburg eine möglichst reale Beschreibung der Situation des Planeten entgegen. Mit Kritik am Verhalten der Menschen der nördlichen Halbkugel wird nicht gespart. Wolfgang Sachs von der Universität Essen vergleicht die Welt mit einer wirtschaftlichen Arena. Das Drama des Wettkampfes zwischen Nord und Süd sei, „daß beide bereit sind, den Boden, auf dem der ungleiche Kampf geführt wird, zu opfern. Die einen, um noch besser zu werden, die anderen, um überhaupt leben zu können. Keiner merkt, daß ein vermeintlicher Punkt gegen den Gegner vor allem zwei Punkte gegen die eigene Natur sind.“
Die Kritik am reichen Norden dominiert die meisten Reden. Doch nicht nur in allgemeinen Formulierungen, sondern auch mit konkreten Bezug zu den Forderungen von Rio.
„Die ganze Welt wird in Rio aufgefordert, Energie zu sparen. Es macht aber doch keinen Sinn, dies vom Süden zu verlangen, wo sowieso kaum etwas da ist. Derartige Forderungen des Nordens können nur für den Norden selbst gelten“, verlangt Meena Rama mit Blick auf den geringen Ernergieverbrauch des Südens. „Der Norden soll lernen, wieder ein einfaches Leben zu führen, etwas von der Philosopie der asiatischen Länder zuübernehmen, fordert ihre Kollegin Lina Cabaero, die auch aus Malaysien nach Freiburg gereist ist.
Die Konferenz benötigt keine geschickt formulierten Presseberichte, um die Ergebnisse möglichst vorteilhaft zu präsentieren. Die Ergebnisse sprechen für sich. So setzen sich zum ersten Mal seit dem Krieg in ihrem Land Kroaten, Slovenen und Serben an einen Tisch, um gemeinsame Konzepte zur ökologischen Zusammenarbeit im ehemaligen Jugoslawien zu entwerfen.
Allerorts werden Kontakte geknüpft und weitere Zusammenarbeit vereinbart. Die Diskussion bleibt nicht nur beim theoretischen, es werden Aktionen in der Umgebung geplant, um nie den regionalen Bezug aus den Augen zu verlieren.
Also Idylle pur? Keineswegs. Weder Veranstalter noch TeilnehmerInnen machen sich Illusionen über die Wirkung des Festivals. Das diese Konferenz die Welt nicht verändern wird ist jedem klar.
Aber wie war das doch noch gleich? Selbst der kleinste Schritt nach vorn ist immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.
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