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Verstobene Störche

■ Sächsische Kraftnahrung: Volker Braun und Kerstin Hensel

Volker Braun wäre gern ihr Mäzen. In der Eröffnungsrunde stößt er einen Mißfallenslaut aus, als die Veranstalterin ihn, den bekannten Dramatiker, selbstredend vor seiner Schriftstellerkollegin dem Publikum vorstellt. Kerstin Hensel ist 1961 geboren, 1987 veröffentlichte sie erstmals im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig. Ihr neuer Roman trägt den Titel Auditorium Panoptikum. Im Backsteingebäude der Clara-Zetkin-Straße 90, dort, wo zu DDR-Zeiten die »Hauptverwaltung Literatur«, die oberste Zensurbehörde in Sachen gebundene und ungebundene Sprache ihr Wesen trieb, sitzt die junge Literatin, das junge Braunsche Hoffnungstalent neben dem Altvater (der protestiert erneut, er, der 1938 Geborene, sei doch nicht gleich 'ne andere Generation!).

Kerstin Hensel sächselt. In ihrer dunklen Stimme werden die Zeilen dick. Hensel liest meistens peinlich genau am Reim orientiert. Man wird den Verdacht nicht los, daß uns da eine »die Dröhnung« geben will. Die forcierte Plattheit der Themen, die altdeutsche Verschnörkelung der Worte, die ach-so-aussagekräftigen Verben (»verbuttert«) sind ziemlich unerquicklich. Eine Probe: »Es hängt der Strumpf im Hinterhaus / die Kammer ist verkittet / der Nagel dröhnt / die Spinnweb ist zerrüttet / im Stuhlgang feiert er sich heut versöhnt / hier hängt der Strumpf im Vogelhaus / die Störche sind verstoben / wer bringt das Kind vom Waschhaus schnell nach oben / im Stuhlgang steht der Ballast und der Wind / nun nimm den Strumpf und leg ihn dir / fest um den Hals / schon fallen die Nägel aus / im Milchgebiß und allen, die stocken, / weht im Stuhlgang der Applaus.« Sicher, das Abstoßende und Mitleiderregende findet sich bei Hensel, aber daß wir — wie ein Werbetext verheißt — mit ihr in »Spielgärten« eintreten, in denen wir »uns doch selbst erkennen«, ist Übertreibung.

Die Prosa, die Kerstin Hensel aus Auditorium Panoptikum liest, bringt auch keine Linderung: Die Walküre Ingrid (»göttliche Kampfjungfrau« der nord. Sage/oder: stattliche Blondhaarige) wird zur Strafe in ein Braunkohlewerk gesteckt, wo acht Gramm pro Kubikzentimeter Staub in der Luft liegen. Ingrid wirbelt den Kohlenstaub bei einer Gesangseinlage außerplanmäßig umher (originell!?) usw.

Der Text wird interessant, wenn sich Hensel auf die Details und nicht die großen Erzähllinien besinnt. Minutiös beschreibt sie, wie es der Walküre gelingt, einem kleinen Wachmann des Kombinats einen Kuß abzuverlangen. Und der schlichte Kunstgriff, immer von »Männer oder Frauen« zu sprechen, karikiert jeden oberflächlich-emanzipierten Sprachgebrauch. Das alles ist schön und gut. Nur erklärt es nicht, warum es gleich ein ganzer Roman sein mußte, den Kerstin Hensel schrieb.

Was bleibt? Natürlich Volker Braun. Volker Braun, wie er geschliffene Übergänge zwischen Hensels und den eigenen Lesebeiträgen besorgt, wie er sie ermuntert, schließlich seine eigenen Texte mit Ironie vorträgt. Braun liest vor allem aus seinem 36 Seiten starken Text Iphigenie in Freiheit. »Halt. Wer da. Nein, antworte mir. / Wie ist die Losung. Was für eine Losung. / LANGE LEBE und so weiter. Und verrecke / Die Losung hab' ich verlernt. DAS VOLK / Ich bin Volker.« Ein Kalauer aus der Wendezeit, ins Hamletmaschinen-Deutsch von Heiner Müller übersetzt. Ansonsten spielt Braun viel mit der Groß- und Kleinschreibung, der Interpunktion, flicht Werbetexte und Straßenschildimperative ein, montiert und strickt fleißig am Intertext. Die literarische Ahnenreihe nickt gefällig. Volker Braun ist ein sorgfältiger, wenn auch nicht eben origineller Literat. Für Freunde der »große Junge«, für RezensentInnen der gequälte Zeitgenosse.

Am Ende der Lesung ist Braun sichtlich gerührt, daß ihm Kerstin Hensel ein Gedicht widmet, in dem — als letzter Klagelaut, der gesamtdeutschen Faktizität geschuldet — die Zeile steht: »Wir stehen am Pißrand ... denn jede Straße führt ans Ende der Welt.« Getröstet und aufgehoben gehen wir nach Hause. Deutschland, bleiche Mutter. Mirjam Schaub

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