Polizei traf schärfste Kritiker

■ Grüne organisierten dreistündige Diskussion über Foltervorwürfe und die öffentlichen Folgen

Viele kannten sich schon seit Jahren, aber gesprochen haben sie am Mittwochabend zum ersten Mal miteinander: Über 100 Menschen drängelten sich im Kultursaal der Angestelltenkammer, um auf Einladung der Grünen unter dem Motto „Vorabverurteilung oder Vorab-Freispruch“ über die Foltervorwürfe gegen Beamte des 3. Polizeireviers in der Hoyaer Straße und die öffentlichen Reaktionen darauf zu diskutieren. Im Publikum saßen munter durcheinander rund 20 Polizisten der Steintor-Sondergruppe und ebensoviele Mitglieder des „Anti-Rassismus-Büros“, die Ende April auf einer Pressekonferenz die schweren Vorwürfe erhoben hatten. Dazwischen verstreut: Oberstaatsanwalt Hans-Georg von Bock und Polach, Flüchtlinge, Behördenmitarbeiter, JournalistInnen, das „Du“ als allgemeine Anrede. Rechtsanwalt Hans Leinweber, der für einen gambischen Asylbewerber Strafanzeige wegen des Vorwurfs der Körperverletzung im Amt gegen Polizisten der Wache 3 gestellt hat, sprach für viele, als er nach drei Stunden das Schlußwort hatte: „Es war wichtig, daß wir heute überhaupt miteinander geredet haben.“

Ergebnisse aus den drei Ermittlungsverfahren, die die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Foltervorwürfen führt, waren zwar nicht zu erfahren, dafür meldete sich erstmals Volkmar Sattler, Chef der Steintor-Sondergruppe, aus der heraus die Mißhandlungen vor allem an schwarzen Asylbewerbern begangen worden sein sollen, öffentlich zu Wort. Bis vor zwei Jahren habe er ein „freundliches Verhältnis zu Kleindealern und Junkies im Viertel“ gehabt, berichtete er. Wenn er dort einmal privat unterwegs war, hätten ihn viele sogar „mit Handschlag“ gegrüßt. Doch mit dem Beginn des Kokainhandels durch gambische Asylbewerber vor rund zwei Jahren sei „alles ganz anders“ geworden: „Es gibt Probleme, die wir vorher überhaupt nicht kannten“, sagte Sattler, „ich selber bin in den letzten eineinhalb Jahren sechsmal beim Einsatz verletzt worden“; und privat könne er sich „im Viertel überhaupt nicht mehr sehen lassen“. Selbst viele Junkies würden sich inzwischen über das „aggressive Verkaufsverhalten“ der Gambier beschweren.

„Natürlich hat sich mein Verhalten dadurch auch verändert“, erklärte Sattler, „in der Form, wie in der Öffentlichkeit berichtet, ist das allerdings nicht passiert, sondern...“ Doch weiter kam er nicht. „Du gehörst doch selber zu den Schweinen, die Leute die Treppe runterschmeißen“, wurde er von lauten Zwischenrufen unterbrochen. So konnte der Sondergruppen-Chef nur noch versichern, daß „wir wirklich große Solidarität in der Dienststelle haben“, und zusammen mit zwei Kollegen die Versammlung verlassen. Polizeipräsident Rolf Lüken, der angesichts der offenherzigen Ausführungen seines Sondergruppen-Leiters schon begann, nervös zu werden, lehnte sich wieder entspannt zurück.

Lüken hatte sich offenbar vorgenommen, die polizeiintern heftig geführte Diskussion um die Vorgänge im Brommyplatz-Revier nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. „Ich werde aufgefordert, etwas zu tun, aber ich habe keine Informationen“, beklagte er sich stattdessen beim Anti-Rassismus-Büro und den Anwälten der Opfer.

„Bei Polizeiführung geht es nicht nur um das Anlegen von Vorgängen“, mußte er sich dafür von Willi Huismann, dem Journalisten, der mit seinem Beitrag im Monitor-Magazin die Foltervorwürfe öffentlich gemacht hatte, sagen lassen, „dieser Rückzug ist nichts als Führungsschwäche.“ Neben den konkreten Vorwürfen gegen einzelne Polizisten sei im Steintor inzwischen ein allgemeines Phänomen zu beobachten: „Viele Ausländer, die überhaupt nichts mit dem Drogenhandel zu tun haben, beginnen, Angst vor der Polizei zu haben.“

Ein Pakistani, der seit Jahren mit Frau und zwei Kindern im Steintor lebt, illustrierte, was damit gemeint ist: „Die deutsche Polizei ist nicht schlecht, und ich habe auch nichts gegen die Razzien, aber im letzten Jahr bin ich 30 Mal durchsucht und mehrmals geschlagen worden. Das ist einfach nicht hanseatisch. Ich traue mich inzwischen kaum noch auf die Straße.“ Ase