: SCIENTOLOGY ENTDECKT DIE HAARLOSEN
Haar plattenweise verloren
Hamburg (taz) — Bis vor wenigen Wochen war in Hamburg ein „Verein gegen Haarlosigkeit“ tätig, der Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet beriet. Nun stellt sich heraus: der Verein wurde von Scientologen geführt.
Es klang ja alles so wunderbar absurd. Am 17.Dezember letzten Jahres gründete sich in Düsseldorf ein Verein mit dem erklärten Ziel, „gegen Haarlosigkeit“ zu kämpfen, und kaum war die Meldung der Presse bekannt, schickten Stadtzeitungen ihre Reporter, die Serviceberichte verfaßten. Das Fernsehen kam auf einen Dreh vorbei. Zwei volle Stunden stellte man sich via Radio dem Publikum vor und versprach einen neuen Typ von Beratung: Betroffene reden mit Betroffenen! Kontakte zu Transplanteuren wurden geknüpft und Mittel empfohlen, die angeblich „neuen kräftigen Haarwuchs“ hervorrufen sollten und die über eine bis dato eher unbekannte Firma zu beziehen waren. Der Verein verbuchte— wesentlich gefördert durch die Medien — schon seit dem Gründungsdatum gewaltige Resonanz. Plötzlich meldeten sich Tag für Tag über hundert Ratsuchende aus dem gesamten Bundesgebiet. Rosi aus Kassel, die schon vor zehn Jahren ihr Haar „gleich plattenweise verlor“, bat in einem betrübten Schreiben um Informationen. Eigentlich habe sie schon resigniert, aber nun überlege sie doch, „wie ein Leben mit Haaren wohl wäre“. Die Sache klang ja auch irgendwie vielversprechend. Carsten aus Frankfurt bemerkte „den rasanten Rückzug“ der eigenen Kopfbehaarung, ein Günther meldete das Verschwinden seiner Lockenpracht. Und jeder, der anrief oder schrieb, war wohl guter Hoffnung, hier seriöse Berater zu finden. Sie alle haben sich offenbar getäuscht; hier waren, so scheint es, andere Kräfte und Mächte am Werk. Denn der „Verein gegen Haarlosigkeit“ wurde maßgeblich von Scientologen geführt, was der Sprecher Rolf Hör immerhin so lange leugnete, bis er ganz eindeutig der Lüge überführt war. Und offenbar — dies hat eine erprobte Gegnerin der Vereinigung herausgefunden — hat man ein Mittel als besonders wirksam empfohlen, an dem über manchen Umweg und über manche Spende auch Scientology verdient hat. Renate Hartwig, von Robin Direkt, einer Initiative für „Scientology-Geschädigte“: „Hinter dem Vertrieb dieser Mittel stehen Scientologen, die das Zeug in Mexiko billig einkaufen und hier teuer wieder losschlagen, indem sie mit merkwürdigen Erfolgsstories werben, die angeblich belegen sollen, wie toll nun die Haare wachsen. Gelder aus dem Verkauf wurden an Scientology abgeführt. Ich habe die entsprechenden Zusammenhänge recherchiert. Die Verträge und Beweise sind mir zugespielt worden. Es klingt absurd, aber meine Meinung ist: Scientology hat ebenso versucht, unter den Haarlosen neue Mitglieder zu werben. Das ist ein klassisches Beispiel für ihre Strategie: Sie suchen sich Leute mit Problemen, die womöglich psychisch labil sind. Sie versprechen Therapie und Lösung, und irgendwann werden diese Leute dann als neue Anhänger auserkoren. Es könnte sein, daß es in diesem Fall auch so gelaufen ist!“ Bernhard Pörksen
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