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Die Bastion des Antifaschismus halten

■ Kapitalismuskritik und die Nähe zum Realsozialismus: Eine Erwiederung von Heinz-Gerd Hofschen

Nun hat sie auch Bremen erreicht — die Diskussion um den Antifaschismus als letzter Bastion der Linken. Nachdem bereits die jungen Rechten in der Redaktion des FAZ-Feuilleton seit längerem dieses Thema entdeckt haben, um die vermeintlich letzte Legitimationsbasis der immer noch nicht von den Segnungen der siegreichen kapitalistischen Gesellschaftsordnung überzeugten zu zerstören, wird es jetzt auch in Bremen beim Bildungswerk der Grünen und in der taz diskutiert. Dieser Umstand spricht natürlich noch nicht per se gegen die Wichtigkeit dieses Themas, dennoch sei auf ihn hingewiesen, weil ich fürchte, daß die Absichten, die dieser Debatte zugrundeliegen, in beiden Fällen recht ähnlich sind.

Mit seiner Argumentation, Abschied vom Antifaschismus zu nehmen, bestreitet Kuhn zunächst einmal — mit Hinweis auf die angeblich kommunistische Herkunft dieser Theorie — den kausalen Zusammenhang zwischen kapitalistischer Gesellschaftsform und Faschismus, zumindest relativiert er sie. Nun war aber die Erkenntnis, daß der Faschismus in Italien Anfang der 20er Jahre eine Reaktion der bürgerlichen Eliten auf die Bedrohung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse durch die Arbeiterbewegung in der Nachkriegskrise war, keineswegs eine auf die Kommunisten beschränkte. Den Klassencharakter des italienischen Faschismus und dann des heraufziehenden deutschen Nationalsozialismus hattenn alle Strömungen der Arbeiterbewegung erkannt.

Diese Einschätzung des Faschismus und Nationalsozialismus finden sich bei vielen zeitgenössischen Nichtkommunisten, nach der Befreiung wurde sie sogar zeitweilig von der CDU geteilt. Die Forschung der letzten 25 Jahre hat diesen Grundzusammenhang bestätigt. An der Dimitroffschen Faschismus-Definition ist vieles verkürzt und falsch — allerdings hat selbst er nicht den „Faschismus als letztes Stadium des Kapitalismus theoretisch“ begriffen, wie Kuhn meint, denn wie sollten dann die kommunistischen Parteien sonst zu einer Volksfrontkonzeption kommen, die vom (zumindest zeitweiligen) Fortbestehen eines antifaschistischen Kapitalismus ausging? Jedoch gibt es keinen Grund — auch nach den Erfahrungen in Chile, an die sich Kuhn vielleicht noch erinnert — den Zusammenhang von Kapitalinteressen und faschistischer Diktatur zu leugnen. Es sei denn, man wolle den „kapitalismuskritischen Aspekt“, der auf diesem Hintergrund natürlich im Antifaschismus enthalten war, loswerden — auch um den Preis der Entschuldung des deutschen Großbürgertums und seiner Gesellschaftsordnung. Und da ist die Gemeinsamkeit mit der FAZ dann wieder da.

Daß der Antifaschismus nach 1945 besonders für die Angehörigen der Arbeiterbewegung eine antikapitalistische Stoßrichtung hatte, ist doch wohl nur zu verständlich. Sie sahen die Gefahr, daß eine Gesellschaftsordnung, die diese einmalige Barbarei hervorgebracht hatte, in einer Krisensituation erneut zu diesem Mittel greifen könnte. Daß nur eine Veränderung der gesell

Heinz-Gerd Hofschen: Keine Geschichtsentsorgung Foto: Falk Heller

schaftlichen Grundlage diese Gefahr auf Dauer ausschließen konnte, war gemeinsame Auffassung auch bei vielen bürgerlichen Antifaschisten. Wie diese Neuordnung aussehen sollte und auf welchem Wege sie erreicht werden könnte, war umstritten.

Hier trifft nun Kuhns Kritik einen richtigen Punkt: Die kommunistischen Systeme, die einen diktatorischen Weg beschritten, versuchten sich zum Teil aus der Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu legitimieren, ja diesen für sich zu monopolisieren. Sicherlich zu unrecht, denn natürlich hatte der Antifaschismus — im Gegensatz zu Kuhns Auffassung — „ein positives Funda

hier bitte das Querformat für S.39

ment“ in den Traditionen der Aufklärung, des Humanismus und der Demokratie. Fundamente, die die DDR spätestens seit den 50er Jahren verließ. Allerdings hatte die DDR für Ihre Inanspruchnahme des Antifaschismus sogar einleuchtende Argumente: Hatten nicht die Kommunisten tatsächlich die größten Opfer im Kampf gegen die Nazis gebracht, die im Westen schon wieder in Amt und Würden waren? Standen nicht in der DDR Menschen an der Führung, die ihre Jugend im KZ und Zuchthaus verbracht hatten, während die Globkes und Oberländers, im Westen wieder herrschten? War das, was da bei uns als Rekunstruktion der alten

Macht- und Eigentumsverhältnisse geschah (und über die heute bei den Grünen offensichtlich nicht mehr geredet wird), wirklich nur ein „Odium“, das von den Linken noch gepäppelt wurde? Und war der Antifaschismus in der DDR wirklich nur ein verordneter, ein reines Legitimationsmittel für ein undemokratisches System? Das war er zweifellos auch — und das hätten die westdeutschen Antifaschisten benennen und krtisieren müssen — aber er war es nicht nur. Bei den letzten Bezirkswahlen in Berlinn haben die Rechtsradikalen in Ostberlin nur halb so viele Stimmen wie im Westteil erhalten. Selbst das hier viel gepflegte Vorurteil, die Ossis seien anfälliger für rechtsradikale Orientierungen als die Wessis, hält den Ergebnissen der Meinungsforschung nicht stand. Ganz ohne positive Resultate scheinen selbst die einseitigen Formen des Antifaschismus in der DDR nicht gewesen zu sein.

Was Kuhn uns empiehlt ist nicht eine Diskussion über neue Formen und Inhalte des Antifaschismus, die den heutigen Notwendigeiten der Auseinandersetzung entsprechen. Die halte auch ich für mehr als dringlich, da ich weder die moralisierenden Appelle, die verquaste „Vergangenheitsbewältigung“, noch die sozialpädagogischen Anstrengungen heute für sinnvoll halte, um Menschen zu überzeugen, die aus wirklichen oder empfundenen existenziellen Bedrohungen heraus ihren Protest gegen unsere politische Ordnung durch rechtsradikales Wählen artikulieren. Kuhns Abschied vom Antifaschismus und dessen Ersetzen durch die alte Totalitarismus- Theorie hilft uns allerdings bei dieser Diskussion nicht weiter. Seine Position scheint mir auch mehr Teil einer neuen Legitimationstheorie zu sein: Wer von einer grundlegende Kritik an der Gesellschaftsordnung Abschied genommen hat, muß einen Antifaschismus für schädlich halten, der die demokratie- und friedensfeindlichen Potentiale des Kapitalismus erkennt und damit an „kapitalismuskritischen Aspekten“ festhält. Wie gesagt, neu ist diese Entsorgung der Vergangenheit nicht. Was sie nützen soll, weiß wohl eher die FAZ.

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