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Fernsehkunst — Kunstfernsehen

Besser als „aspekte“: „Kunst pur“ von den TV-Pionieren Paik, Beuys und Davis  ■ Von Mariam Niroumand

Mit einer Reminiszenz an glücklichere Fernsehtage begann der vierte „Audiovisuelle Salon“ des Berliner Vereins „Europäisches Fernseh-Festival e.V.“. Der Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die avanciertesten TV-Produktionen vorzustellen, befaßte sich diesmal mit dem Thema Kunst und Fernsehen. Die Malaise ist bekannt: Ambitionierte Kunst wird in aspekte-Sendungen in Feature-gerechte Häppchen zerlegt und von einem Moderator temperiert. Die Kamera spielt dabei den Zeigestock und fährt im erratischen Wechsel von Totale und Detail am Kunstwerk auf und ab. Das klassische Gemälde wird in Fragmente zerlegt, die eher in ein Kochstudio passen würden, während moderne Skulpturen gern verrätselt werden, indem ihre Raummaße und Strukturen unklar bleiben.

Das war nicht immer so. Wulf Herzogenrath, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nationalgalerie, berichtete von Pioniersendungen in Sachen „Kunst pur“, bei denen die Künstler selbst Regie führten. Am weitesten vorgewagt hatte sich der Hessische Rundfunk 1977 mit seiner Satelliten-Sendung von der documentaVI, bei der Nam June Paik, Josef Beuys und Douglas Davis jeweils neun Minuten zu ihrer freien Verfügung hatten. Videokünstler Paik, den man damals einen „Kulturterroristen“ schimpfte, spielte mit seiner Muse, der Cellistin Charlotte Moorman, eine Variation auf Guten Abend, gute Nacht und tätschelte dabei einem Buddha das Haupt, der unermüdlich sein Video-Konterfei betrachtete. Die Fluxus-Mixtur aus Kinderspiel, Vaudeville, Duchamps und McLuhan ergänzt Paik durch flirrenden Sex und spielerischen Umgang mit Fernsehhülsen: Moorman trägt ein TV-Gehäuse als BH, und Paik klopft von innen gegen den Bildschirm eines anderen; beides deutet auf die Universalität des Fernsehens.

Auch Beuys' Beitrag weist in diese Richtung. Der zuständige Redakteur wußte dabei nicht, was Beuys in seiner Ansprache sagen würde. Beuys („Meine Damen und Herren, liebe Kinder“) forderte die Ausdehnung des Kunstbegriffs auf die menschliche Arbeit und den Rückzug des Staates aus den Medien, vor allem dem Fernsehen. Davis schließlich rief, die Hände direkt auf die Kamera gepreßt, dem einzelnen Zuschauer in aller Welt zu, Kontakt mit ihm aufzunehmen — Satellitenfernsehen als Stelldichein im Global Village. Diese Beispiele zeigen, daß das Fernsehen keineswegs ab-, sondern aufgewertet wird, wenn es sich als Medium zur Verfügung stellt. Seither hat sich wenig getan: TV-Potenzen wie Aktualität, Flexibilität und Breitenwirkung werden verleugnet statt genutzt; Kunst wird zum Ereignis, nicht zur Erfahrung.

Einen Ausbruchsversuch aus dieser Logik stellt John Wyvers (Produzent von State of the Art) für Channel4 gedrehter Bericht von der documentaX dar. Das Avancierteste an dieser Produktion ist ihre Montage; der kommentarlose Zwischenschnitt von Boxkämpfen, Baseball- Spielen und Jazz, unterlegt mit Texten von Joyce Carol Oates oder Woody Allen, mit denen der Regisseur der Ausstellungsdramaturgie von Jan Hoet folgt. Dessen Charisma ist der Bericht ansonsten verfallen; in Interviews mit ihm wird die Großaufnahme auf die Augenpartie verengt, so daß er uns um so diabolischer anfunkeln kann. Auch auf die einrahmende Moderation, das Schreckgespenst der „Kunst pur“-Ästhetik, wird hier nicht verzichtet.

Am deutlichsten wird das Strickmuster der Sendung, wenn die Künstler neben ihren Werken auf dem Split Screen zu sehen sind: Kunst wird hier zur Personality Show — einer der beliebtesten Auswege aus dem Dilemma, daß die Kamera vor statischen Kunstobjekten nach Ereignissen, Entwicklungen sucht. Bewegung soll ins Spiel: Auf einen Wagen montiert, folgt die Kamera der New Yorker Bildhauerin Cady Noland. Nicht viel anders als die traditionellen Kunstprogramme ist dieser Bericht impressionistisch und hat keinen roten Faden, sucht nach Kunstskandalen mehr als nach Spannungsfeldern und ist der MTV- Ästhetik enger verwandt, als es den Produzenten lieb ist.

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