Iren flicken Europa wieder zusammen

Deutliche Mehrheit beim Referendum über die Maastrichter Verträge bei niedriger Wahlbeteiligung/ Vor allem Arbeitslose blieben zu Hause/ Die Stellung der Abtreibungsgegner ist geschwächt  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Irland hat die Lichter in ganz Europa angeschaltet.“ Mit dieser euphorischen Aussage reagierte Gay Mitchell, Abgeordneter der Oppositionspartei Fine Gael, auf das Ergebnis des irischen Referendums über das EG-Verträge von Maastricht: Etwa 68 Prozent der WählerInnen haben für die Ratifizierung gestimmt — bei 32 Prozent Gegenstimmen. Das amtliche Endergebnis stand gestern bei Redaktionsschluß noch nicht fest. Ein Sprecher der EG- Kommission bezeichnete das Votum jedoch schon nach den ersten Trendmeldungen als „exzellente Nachricht“ und sagte, man werde die europäische Einheit trotz des dänischen Votums weiter vorantreiben. Premierminister Reynolds sagte, die Entscheidung für Maastricht stärke Irlands Stellung in Europa. Sein Außenminister David Andrews sprach von einem „Lebenskuß für das Abkommen“ und kündigte eine Ehrenrunde bei dem heutigen EG-Außenministertreffen an. „Ich bin dankbar für das gute Urteilsvermögen des irischen Volkes“, sagte Andrews.

Den meisten Abgeordneten war gestern die Erleichterung deutlich anzumerken. Die vier großen Parteien, die zusammen über 95 Prozent der Parlamentssitze verfügen, hatten eine bisher einmalige gemeinsame Kampagne für die Maastrichter Verträge geführt. Sie versprachen sinkende Zinsen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und sechs Milliarden Pfund (16,2 Milliarden Mark) aus dem europäischen Strukturfond. Dennoch nahm die Zahl der Gegner laut Meinungsumfragen stetig zu. Reynolds entschloß sich am Dienstag deshalb kurzfristig zu einer Fernsehansprache, in der er ein Untergangsszenario für den Fall der Ablehnung ausmalte.

Der Politik-Professor Anthony Coughlan von der „Nationalen Platform gegen das Maastrichter Abkommen“ bezeichnete das Ergebnis trotz der Niederlage als Erfolg: „Angesichts des beispiellosen Versuchs der Politiker, unter Mißbrauch öffentlicher Gelder die Verfassung zu vergewaltigen, konnten wir gar nicht gewinnen. 32 Prozent Stimmen sind deshalb sehr viel. Aber das Maastrichter Abkommen wird nach dem dänischen Nein ohnehin nicht in Kraft treten. Das Referendum war nichts als eine Meinungsumfrage.

Eine erste Wahlanalyse zeigt, daß die Mittelklassen mit überwältigender Mehrheit für das Abkommen gestimmt haben, während in den Arbeitervierteln — allen voran die Dubliner Innenstadtbezirke — der Anteil der Nein-Stimmen deutlich höher lag. Anders als bei der Volksabstimmung über die Europäische Einheitsakte 1987 lehnte diesmal jedoch kein einziger Wahlkreis die Ratifizierung ab. Die niedrige Wahlbeteiligung muß der Regierung jedoch zu denken geben. Lediglich 55 Prozent hatten am Donnerstag ihre Stimme abgegeben. Besonders in den Wahlkreisen mit hoher Arbeitslosigkeit lag die Wahlbeteiligung weit unter dem Durchschnitt. Der Abgeordnete Pat Rabbitte von der Demokratischen Linken, die für eine Ablehnung der Verträge eingetreten waren, sagte: „Die offensichtliche Entfremdung so vieler Menschen von diesem Staat deutet auf ein demokratisches Defizit hin. Das müssen alle Politiker sehr ernst nehmen.“ Der Dubliner Professor Richard Sinnott führte die geringe Wahlbeteiligung darauf zurück, daß die wichtigen Themen wie Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsentwicklung und Neutralität in der Debatte von der Abtreibungsfrage überschattet worden wären: „In Dänemark wurden die Maastrichter Verträge adäquat diskutiert. Deshalb lag die Wahlbeteiligung dort bei über 80 Prozent. 55 Prozent sind bei diesem wichtigen Thema nicht akzeptabel“, sagte er.

Für die verschiedenen Anti- Abtreibungsorganisationen war das Ergebnis eine Enttäuschung. Sie blieben nicht nur weit hinter ihren Erwartungen zurück, sondern darüber hinaus belegen Umfragen, daß die Abtreibungsfrage nur eine geringe Rolle bei der Meinungsbildung gespielt hat. Lediglich ein Drittel der Maastricht- Gegner hat aus Angst vor einer Legalisierung der Abtreibung in Irland gegen Maastricht gestimmt. Die Übrigen hatten andere Gründe: Aufgabe der Neutralität, Arbeitslosigkeit und undemokratische Strukturen in Brüssel. Die Schriftstellerin und Journalistin Emily O'Reilly sagte deshalb: „Die Position der Abtreibungsgegner ist sehr geschwächt. Sie haben das Referendum als Probelauf für die Anti- Abtreibungskampagne im Herbst gesehen. Sie haben jetzt keine Autorität mehr.“

Die Vorsitzende der „Gesellschaft zum Schutz ungeborener Kinder“ (SPUC), Mary Lucey, sieht das anders. „Die irische Regierung und Jacques Delors haben eine Einschüchterungstaktik angewendet“, behauptete sie. „Die Regierung hat versprochen, die Abtreibungsfrage im Herbst zu regeln, und die Menschen haben ihr das offenbar geglaubt. Wenn Reynolds nun nicht ein weiteres Referendum zuläßt, damit Irland das Recht auf Leben ein für alle Mal sichern kann, wird er das am Ende schwer bereuen.“

Wegen der agrarischen Struktur Irlands spielten die Bauern bei dem Volksentscheid eine wichtige Rolle. Der Bauernverband hatte eine intensive Kampagne für Maastricht geführt, die sich offenbar ausgezahlt hat. „Ich bin über das klare Ja des ländlichen Irland sehr erfreut“, sagte der Präsident des Bauernverbandes, Alan Gillis. „Wir haben in unserer Kampagne betont, daß Maastricht und Abtreibung zwei getrennte Themen sind. Irland hat außerhalb eines vereinten Europa keine Zukunft.“