»Besetzen — Kunst — Erste Hilfe«

■ Künstlerinitiative will im ältesten Wohnhaus in Prenzlauer Berg wieder Wohn- und Atelierraum schaffen/ Unterstützung von Thierse, Poppe und dem Bezirksamt/ Eigentumsverhältnisse ungeklärt

Prenzlauer Berg. In das älteste noch erhaltene Wohnhaus in Prenzlauer Berg ist wieder Leben eingezogen. Um das seit sechs Jahren leerstehende Gebäude in der Kastanienallee 77 vor dem endgültigen Verfall durch Leerstand und Spekulation zu retten, haben es etwa 20 Mitglieder der Künstlerinitiative »Vereinigte Farben Wawavox« am Samstag im Anschluß an das Kollwitzplatzfest für eine »Kunstaktion« unter dem Motto »Besetzen — Kunst — 1.Hilfe« neu eröffnet. Die Rechtslage des im Jahre 1840 erbauten Hauses, das seit Jahren — ohne sehenswerte Folgen — unter Denkmalschutz steht, ist ungeklärt.

Zwangsverwaltet wird es von der »Wohnungsbaugesellschaft im Prenzlauer Berg« (WIP), die das klassische Wohngebäude vor vier Jahren (damals als KWV) in Gewerberaum umwandelte. Anträge auf Rückübertragung gibt es inzwischen mindestens zwei. Bis das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen den endgültigen Eigentümer ermittelt habe, werde keine Räumungsklage erhoben, sicherte eine Mitarbeiterin der WIP gestern gegenüber der taz zu. Auf Verhandlungen über einen befristeten Nutzungsvertrag, wie von den Künstlern der »Vereinigten Farben Wawavox« gefordert, will die WIP sich allerdings bisher auch nicht einlassen.

Über mangelnde Unterstützung können sich die Künstler dennoch nicht beklagen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse unterstützt das Anliegen, in der »K77« Wohn- und Atelierraum entstehen zu lassen, ebenso wie Gerd Poppe (MdB, Bündnis 90) und der Berufsverband Bildender Künstler in Berlin. Auch der Runde Tisch »Instandbesetzung« Prenzlauer Berg unter Beteiligung des Bezirksamtes sprach sich am Montag für den Erhalt des Gebäudes und für Wohnraumschaffung aus. Wenn das Gebäude an seine Alteigentümer übergeben werde, fürchten die Künstler, werde wegen der höheren zu erzielenden Gewinne lediglich weiterer Gewerberaum geschaffen. Sie fordern den Senat auf, das Haus zu kaufen und zur »ökologischen Instandsetzung« an sie zu verpachten.

Dem Bezirk Prenzlauer Berg, der bisher 20.000 Mark in die allernötigsten Aufräumarbeiten in dem verfallenen Gebäude gesteckt hat, fehlt für weitere Maßnahmen das Geld. Jugendstadtrat Siegfried Zoels (Bündnis 90/Grüne) fordert die WIP auf, »nachdem sie seit sechs Jahren nichts getan hat, den Künstlern erst mal einen Zwischennutzungsvertrag zu geben«. Als potentielle Käufer kommen außer dem Land auch der Berufsverband Bildender Künstler in Frage, der Bereitschaft signalisierte. Zoels hofft, beim nächsten Runden Tisch am kommenden Montag eine richtungweisende Lösung zu finden. An eine vorschnelle Räumung seitens der Berliner Innenverwaltung gemäß der berüchtigten »Berliner Linie«, jedes Haus binnen 24 Stunden zu räumen, glaubt er nicht. »Das Ganze ist doch eine Kunstaktion.« jgo

Apropos Kunstaktion: Am Freitag um 18 Uhr wird in der Kastanienallee 77 eine Ausstellung zur Geschichte des Hauses eröffnet.