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„Was soll ich klagen — es war schon immer so“

Ein Großteil der Frauen der CSFR ist berufstätig/ Die alten Rollenverhalten blieben jedoch bestehen Wirtschaftliche Probleme stürzen Ehen in die Krise/ Nur 7 Prozent der Tschechen und Slowaken sind eheabstinent  ■ Aus Prag Nada Klevisova

Später Nachmittag. Mein Mann liest Fachliteratur. Für mich und meine Tochter heißt das: Am Telefon leise sprechen, ganz so, als läge in der Wohnung ein Schwerkranker. Keine Löffel auf den Boden fallen lassen, keine Besuche empfangen, nicht lachen, nur lächeln. „Nadjo!“ ertönt es durch die geschlossenen Türen. „Ja?“ antworte ich durch die geschlossenen Türen. Einige Minuten ist es still. „Nadjoooo!“ klingt es diesmal schon drängender. Ich gebe auf. Stelle mich an die Türschwelle. „Ja, mein Liebling?“ „Kaffee“ sagt meine alte Liebe lakonisch. „Bitte?“ — ich nehme an, daß er aus lauter Zerstreutheit lateinisch geredet hat. Schließlich ist er Arzt. „Bring mir Kaffee... Bitte!“

Das letzte Wort klingt, als würde ich mich weigern, ihm das Skalpell zu reichen, ganz so wie: Jede Minute ist kostbar. Und so koche ich also Kaffee und bringe ihn ihm. In einer Ecke meines Gehirns regt sich ein revolutionäres Kind. Dieses zürnende Mädchen von der Familienphotographie.

„Nadja, verzeih, ich bin überarbeitet“, sagt er. Und ich nehme die gebotene Hand an. Obwohl: Er hat ein Universitätsdiplom, ich habe ein Universitätsdiplom, beide sind wir um die 45, beide sind wir in Prag, im Herzen Europas, groß geworden, und dies in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aber: Er kocht mir keinen Kaffee, und tut auch tausend andere Dinge, die ich für ihn tue, nicht. Doch was soll ich klagen. Er ist meine alte Liebe. Und es war schon immer so.

Unlängst gab es in Wien eine interessante Konferenz zum Thema „Männerkarriere — Frauenkarriere in Wissenschaft und Forschung“. Eine russische Delegierte sprach dort über eine Untersuchung, die sie unter Ärzten und Ärztinnen in Sankt Peterburg durchgeführt hatte. Auf die Frage, womit sie am häufigsten ihre Freizeit verbringen, gaben die Männer das Lesen von Fachliteratur an. Bei den Frauen rangierte diese Kategorie dagegen erst an sechster Stelle. Stattdessen sind sie mit Haushalt, der Betreuung der Kinder und dem Warten in den Einkaufsschlangen beschäftigt.

In einem in der CSFR erschienenen Buch „Menschenrechte, Frauen und Gesellschaft“ schreibt die Soziologin Marie Cermakova, daß unser politisches Leben von Frauenfeindlichkeit bestimmt wird. Und ich füge hinzu: Nachdem bei den letzten Parlamentswahlen Anfang Juni dieses Jahres nur noch neun Prozent der Abgeordneten Frauen sind, sieht es bei uns nur wenig besser als in den islamischen Republiken aus. Dagegen herrscht jedoch in den Familien, unter Freunden und Nachbarn Solidarität. Und die verhindert das Schlimmste. Wenn diese Solidarität fehlen würde, käme es bei der ökonomischen und politischen Transformation, die im Augenblick unsere ganze Gesellschaft aus den Angeln hebt, zu Erscheinungen, die im Augenblick nur am Rande zu beobachten sind.

Bei uns arbeiten Frauen und Männer eher zusammen, sie sehen sich weniger als Konkurrenten. Doch haben daran nicht vor allem die Frauen, die sich unterordnen, die größeren Verdienste? Das beantwortet die Soziologin nicht, und ich weiß auch keine Antwort. „Schon wieder ein Mord“, warnt mich eine alte Dame, die im Park neben mir auf der Bank sitzt. „Und hören sie sich das an: In einem Streit brachte er seine Ehefrau an den Rand eines Herzinfarkts. Und haben sie das gestern gelesen: Da hat einer seine Frau mit einer Schrotflinte erschossen. Das hat es hier niemals geben, und jetzt passiert es täglich.“

Die alte Frau hat Recht. Auf der Tagesordnung standen solche Ereignisse früher nicht. Was ist in unseren Familien los? Familien mit zwei Kindern haben heute, wenn die Eltern lediglich einen Mittelschulabschluß haben, ernste Geldprobleme. Diese belasten die Partnerbeziehung. Unter dem Motto „Wer ein Tscheche ist, ist auch ein Unternehmer“, betätigen sich auch verheirate Männer oft auf Kosten ihrer Familien. Außerdem nehmen sie nicht mehr am Familienleben teil.

Wenn die Frauen als Unternehmerin arbeiten oder bei einer ausländischen Firma beschäftigt sind, verdienen sie mehr als ihr Mann, der zudem Angst vor Arbeitslosigkeit hat. Ihr neues Selbstbewußtsein kann der Ehemann nur schwer ertragen. Daraus entstehen Konflikte. Die Verantwortungslosigkeit wächst.

Geschiedene Unternehmer und häufig auch Unternehmerinnen zahlen den Unterhalt für ihre Kinder nicht mehr.

Unlängst meldete sich bei mir ein Redakteur einer ausländischen Radiostation. Er wollte sich über Probleme der Frauen in der CSFR unterhalten. Er begann mit „Belästigung am Arbeitsplatz“. Doch darüber lacht hier nur jeder. Da bei uns stets 90 Prozent der Frauen berufstätig waren, haben wir gelernt, mit den Männern als Gleiche unter Gleichen umzugehen. „Diese Belästigung war bei der Arbeit das angenehmste“ erklärte in einer Vorlesung in Prag die britische Schriftstellerin Germaine Greer. Und sie erhielt dafür Applaus.

„Aber jetzt werden Frauen zuerst entlassen“ sagte der Redakteur. Und er hat leider recht. Im Augenblick sind mehr als die Hälfte der Arbeitslosen Frauen. Die Tageszeitung 'Prostor‘ druckte einen Überblick über freie Arbeitsplätze ab. Unter der Rubrik Männer wurden da „Handelsvertreter, Projektanten, Ärzte gesucht“. Nur einmal stand da „es kann auch eine Frau sein“. Die Frauenrubrik enthielt dagegen: „Krankenschwester, Wäscherin, Zimmermädchen“ und natürlich Putzfrauen. Und dies in einem Land, in dem im Jahre 1989/90 fast die Hälfte der Studierenden Frauen waren.

„Schreib vor allem, daß die Leute sich gern haben“, sagt mir meine sechzehnjährige Tochter, die zum erstenmal im Leben verliebt ist. Dadurch brachte sie mich auf einen weiteren Gedanken: Das Prestige der Ehe ist bei uns unendlich hoch. Nur 3 Prozent der Kinder werden außerehelich geboren. Nur 7 Prozent der Menschen in unserem Land heiraten nie.

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