: Mit Pommes und Pappschildern auf Tour
■ Unzählige Tramper warteten gestern bei bester Laune an der Raststätte Dreilinden teilweise Stunden auf einen »lift« in den Urlaub/ Joints und Vino verkürzten die Wartezeit an der Autobahn/ Trampen als Selbstzweck: »Der Weg ist das Ziel«
Auf und davon. »Geil, geschafft, 'nen lift nach Wessiland.« Grund zur Freude hatten sie allemal, die daumenschwingenden Tramper, die gestern an der Raststätte Dreilinden nach teils stundenlangem Warten endlich ein Auto erwischt hatten. Jack Kerouac, immer noch unangefochtenes Tramper-Idol, hätte seine helle Freude gehabt. Bis zu dreißig Urlaubshungrige gleichzeitig wedelten zu Ferienbeginn an der Autobahn im Süden Berlins am Vormittag heftig mit ihren richtungweisenden Pappschildern, immer bemüht, sich gegenseitig die Fahrer vor der Nase wegzuschnappen. Denn längst nicht jeder hält an — und bei längst nicht jedem steigen highwayerprobte Hitchhiker heutzutage ein.
»Ich bin doch nicht bekloppt, mit 'ner Ente nach Mannheim zu eiern«, erzählt eine 24jährige Studentin, die »bestimmt schon 20.000 Kilometer getrampt ist«, mit Kennermiene. Und, siegesgewiß: »Außerdem nehm' ich eh nur 'nen durchgehenden lift. Kein Bock, zweimal zu stehen. Wirst schon sehen, in zehn Minuten bin ich weg.« Denkste, eine Stunde später stand sie immer noch wie angewurzelt am Straßenrand. Das einzige Angebot eines Truckers hatte sie ausgeschlagen. »Ich hab' nichts gegen die, echt. Aber wenn ein Typ so langsam ranfährt und dann nur eine Frau mitnehmen will, bin ich skeptisch.« Obwohl sie als Frau sonst keine Skrupel hat, alleine loszuziehen. »Das ist nur 'ne Frage des Auftretens. Wenn eine Schiß hat, sollte sie es lieber bleiben lassen. Dann passiert nämlich auch was.«
Hannover, München, Karlsruhe, Leipzig, Belgien — überall und nirgends zog es junge Berliner und Touristen gestern mit der billigsten Reisetechnik der Welt hin. Die Tricks sind nationenübergreifend dieselben. Die Frau steht am Straßenrand, der Typ sitzt zwanzig Meter weiter. Und dann, wenn einer hält: »Ach du, mein Freund holt gerade noch eine Portion Pommes, der muß auch noch mit.« Meistens klappt's. Wer weiterfährt, wäre wohl ohnehin der falsche Fahrer gewesen.
Für zwei junge Kanadier ist Trampen zum Selbstzweck geworden. Nach einer Woche Berlin müßten sie echt mal wieder »on the road«, finden sie. Wohin, ist eigentlich egal. »Wir kennen Deutschland ja eh nicht. Und nirgends lernst du soviel über das Land wie bei Einheimischen im Auto.«
Und selbst das Warten im donnerndem Verkehr wird bei soviel Andrang zum sozialen Ereignis. Inmitten von Lärm und Autoabgasen verkürzten sich einige Tramper schon vor dem Mittagessen mit dem ersten Joint zur Anderthalbliterflasche Rotwein die Wartezeit — gebaut von David aus Kreuzberg, grüne Haare, sechs Ohr- und acht Fingerringe, der sich bald Nachschub holt. »Ich gabel' nur ein paar Kumpels in Aachen auf, und dann düsen wir nach Adam.« Bitte wohin? »Nach Amsterdam, Mann.« Aha!
Zwei Schüler in Jeans und Tennisschuhen gucken pikiert. Sie wollen an die französische Atlantikküste. Mami und Papi brauchen sich keine Sorgen zu machen — sie wähnen die beiden im Zweite-Klasse-Abteil der Deutschen Bundesbahn. »Aber das Geld für die Fahrt setzen wir lieber vor Ort um«, verkünden sie — und platzen fast vor Stolz ob soviel Mut und Coolness.
Ob diejenigen, die am ersten Ferientag konventionellere Methoden wählten, um den Dreieinhalb-Millionen-Moloch zu verlassen, besser fuhren, darf bezweifelt wurden. Auf dem Bahnhof Zoo flogen Schülerinnen, die zwecks Sprachstudium die kommenden drei Wochen in einer Familie in Brighton verbringen wollen und auf den Zug nach Ostende warteten, fast vom Bahnsteig vor Gedränge.
In den Mitfahrzentralen liefen die Telefone heiß. Trips zum Rock-Festival nach Roskilde spuckte der Computer in der Zentrale am Kudamm-Eck immerhin ebenso aus wie Fahrten nach Barcelona, Paris oder Mailand.
Schwierig wird es dann aus dem Süden mit dem Zurückkommen. Die Tramper haben es da besser. Sie drehen ihr Schild in einigen Wochen am anderen Ende Europas einfach um. Denn dort steht schon längst geschrieben, was dann unwiderruflich wieder auf dem Programm steht: »Berlin«. Jeannette Goddar
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