piwik no script img

Gemäßigte Töne beim politischen Flügel der IRA

Sinn-Féin-Sprecher signalisiert Bereitschaft zum Umdenken/ Abzug der britischen Armee aus Nordirland nicht mehr erste Bedingung/ Erwägt die IRA einen Waffenstillstand?/ Mehrparteiengespräche nach neun Wochen in der Sackgasse  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

„Wir akzeptieren, daß dem Rückzug der britischen Regierung aus Nordirland eine längere Periode des Friedens vorausgehen muß.“ Das sagte Jim Gibney vom Vorstand Sinn Féins, des politischen Flügels der Irisch-Republikanischen Armee (IRA). Gibneys Rede am vergangenen Wochenende auf der jährlichen Gedenkfeier für Wolfe Tone, einen Revolutionär aus dem 18. Jahrhundert, deuten auf ein Umdenken bei Sinn Féin hin. Die Rede war vom höchsten Parteigremium abgesegnet.

Gibney sprach von „evolutionären Veränderungen im Denken der republikanischen Bewegung im Lauf der vergangenen zehn Jahre“. Diese Veränderungen seien von der Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen worden. Gibney machte dafür nicht nur die Zensur in Großbritannien und Irland verantwortlich, sondern er fügte hinzu: „Bei dem tödlichen Lärm der Gewehre ist es schwer, sich Gehör zu verschaffen.“ Erstmals war kein IRA-Sprecher zu der Wolfe-Tone-Gedenkfeier gekommen.

Steht ein IRA-Waffenstillstand bevor? Diese Möglichkeit läßt sich zumindest nicht von der Hand weisen. In einem vor kurzem veröffentlichten programmatischen Papier heißt es, Sinn Féin akzeptiere, daß sowohl die Dubliner Regierung als auch die nordirische Social Democratic and Labour Party (SDLP) ein demokratisches Mandat haben. Darüber hinaus seien die Bestrebungen der protestantischen Unionisten, die für die Erhaltung der Union mit England eintreten, „eine Realität, der man sich stellen“ müsse.

Noch vor wenigen Jahren wären diese gemäßigten Worte undenkbar gewesen. Die Frage ist, ob auch die IRA bereit ist, grundlegende Forderungen — wie zum Beispiel die nach einer Rückzugserklärung der britischen Regierung — aufzugeben.

Die veränderte Haltung Sinn Féins hat den derzeitigen Mehrparteiengesprächen, die sich seit neun Wochen dahinschleppen, unverdient aufgewertet. Diese Gespräche, an denen Sinn Féin nach wie vor nicht teilnehmen darf, wurden von Anfang an durch taktische Erwägungen bestimmt. Drei Phasen waren vorgesehen: In der ersten Phase sollten die vier nordirischen Parteien — die SDLP, die protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) und Official Unionist Party (OUP) sowie die gemäßigte Alliance Party — über eine nordirische Regierungsstruktur verhandeln. In der zweiten Phase sollen die britische und irische Regierung dazukommen, und in der letzten Phase sind Verhandlungen zwischen Dublin und London vorgesehen.

Um die Unionisten überhaupt an den Verhandlungstisch zu bringen, willigten Dublin und London in eine dreimonatige Sitzungspause der angloirischen Konferenz ein. Diese Konferenz ist das Produkt des angloirischen Abkommens von 1985, das Dublin minimale Mitspracherechte in nordirischen Angelegenheiten einräumen sollte und deshalb von den Unionisten strikt abgelehnt wird. Einen Monat vor Ende der Sitzungspause stecken die Mehrparteiengespräche in der Sackgasse. Die erste Phase ist ergebnislos abgebrochen worden, da die SDLP nicht in ein von den Unionisten kontrolliertes nordirisches Parlament einwilligen kann, will sie nicht die Unterstützung der katholischen Mittelschicht verlieren. Die katholische Mittelschicht ist mit der Londoner Direktherrschaft nicht unzufrieden. Die zweite Phase ist über Vorgespräche zur Tagesordnung bisher nicht hinausgekommen. Es wäre das erste Mal, daß sich die Unionisten mit Vertretern der irischen Regierung an einen Tisch setzen. Aus Rücksicht auf die radikale Parteibasis entsandten die Unionisten lediglich Funktionäre niederen Ranges zu den Vorgesprächen. Die irische Regierung weigert sich deshalb, mit der dritten Phase zu beginnen, weil sie befürchtet, daß die Unionisten die zweite Phase einfach überspringen wollen. So ist auch diesmal — wie schon im vergangenen Jahr — ein Scheitern der Gespräche abzusehen, falls ihnen die allmähliche Wende Sinn Féins nicht neues Leben einhaucht.

In den Medien wird spekuliert, daß die britische Regierung auf die veränderte Haltung Sinn Féins mit der Freilassung einer Reihe von IRA-Langzeitgefangenen reagieren könnte. Darauf deutet jedoch nichts hin — im Gegenteil: London hat offenbar die Praxis körperlicher Durchsuchungen weiblicher Gefangener, die vorübergehend eingestellt wurde, wieder aufgenommen. Im März stürmten Gefängniswärter in Kampfanzügen den Frauentrakt des Hochsicherheitsgefängnisses Maghaberry und zwangen 21 Frauen, sich auszuziehen. Anschließend unterwarfen sie die Gefangenen einer entwürdigenden körperlichen Durchsuchung. An der zehnstündigen Aktion nahm auch männliches Gefängnispersonal teil.

Die Ernennungen des ehemaligen britischen Generalstaatsanwalts Patrick Mayhew zum Nordirlandminister und des Hardliners Michael Mates zu seinem Stellvertreter lassen Zweifel daran aufkommen, ob die britische Regierung überhaupt an einer Verhandlungslösung interessiert ist.

Das Ministerium beorderte im April dieselbe Fallschirmjäger-Einheit nach Tyrone westlich von Belfast, die 1972 für die Morde an 14 unbewaffneten Demonstranten in Derry verantwortlich war. Prompt häuften sich die Beschwerden über brutale Armeeaktionen in der Gegend, die in einem Überfall der Soldaten auf zwei Kneipen in Coalisland kulminierten. Dabei wurden zahlreiche Gäste zum Teil schwer verletzt. Die britische Regierung leistet der IRA nach wie vor entscheidende Hilfestellung bei der Rekrutierung neuer Mitglieder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen