: Kein süßes Leben im falschen
■ Studie zum Partnertausch: John Dews brillante Inszenierung von „Cosi fan tutte“ an der Oper Leipzig
Rot ist die Farbe der Liebe, wenn sie diskursiv wird, bewiesen werden muß, illustriert oder erinnert. Rot, satt rot ist die Wand, die die Bühne der Leipziger Oper auf das Format eines Flur oder einer Wandelhalle verengt, ein mit einfachsten Mitteln kunstvoll gebauter Raum, der die Handlung in die Sphäre der Passage versetzt, der Moment zählt, und der Moment, wenn er vergeht. Drei Tore in der Totalen öffnen schlagartig den Blick auf die imposant wechselnden Orte und Ambientes: magisch blau der Himmel über dem Tennisplatz, von penetranter Fruchtbarkeit das Grün des Laubwerks im Park der Verknotung der Gefühle.
John Dews Deutung von Mozarts später „lustiger“ Oper ist extrem und von überraschender Plausibilität. Kaum sind die prahlerischen Charmeure im Rahmen ihrer Wette abgezogen, bricht unter den Damen, denen sonst nichts fehlt, die Langeweile aus: Da sitzen sie an ihrem Frühstückstisch im Memphis-Design und haben harte Mühe, beim Aufschlagen weicher Eier die Symptome der Verlassenen zu simulieren. Despina fährt mit laufendem Nobelstaubsauger ein und läßt sich auch vom Orchester nicht weiter stören. Daß ihre heiteren Vorschläge fruchten werden, erscheint nun nicht mehr als verblendete List der niederen Klassen, sondern unumgängliches hedonistisches Programm, dessen Ablauf im Rahmen eines Opernabends durchaus wahrscheinlich wird. Die nur mühsam kaschierte Lüsternheit der Damen Fiordiligi und Dorabella ist schlicht die Rückseite der Langeweile; womit die in der Oper nicht erzählte Vorgeschichte vorstellbar wird: Was müssen das für ärmliche Liaisons sein, die nun zur Probe und zur Disposition gestellt werden. Eben Bündnisse zwischen Paaren, die den Rastern monogamen Glücks aufgesessen sind, und sich Partner suchen wie Möbel oder Küchendesign. So unterliegen die Liebesbeziehungen den Ambivalenzen des Konsums. Unter den sentimentalsten Regungen lauert der egomane Verrat. Es gibt kein süßes Leben im Falschen.
Wie um zu beweisen, daß es nicht um die Opposition „maskierter“ (unkenntlicher) Männer und im Individuellen verbliebener „natürlicher“ Frauen geht, werden Kunstwerke von unsichtbarer Hand ins Bühnenbild eingeschoben: Auf dem Golfplatz prangt eine Skulptur von Dubuffet; über dem Bett der ungleichen Kuppler Don Alfonso und Despina prangt die Pop-Art-Chiffre LOVE, und das blockartige Arrangement einer Gruppe von Rasierspiegeln im Badezimmer der Damen erinnert an eine Installation von John Armleder bei Metropolis, auch wenn die einzelnen Spiegel zu Herzchenformen verhunzt sind (Bühnenbild: Heinz Balthes). Die These, daß alles schon einmal da gewesen ist, wird auf die Herzensangelegenheiten ausgedehnt.
Selbst die unwahrscheinliche Tatsache, daß die Frauen in den Werbenden nicht die ihnen bekannten Personen erkennen, wird von Dew auf perfide Weise metaphorisiert: Guglielmo und Ferrando sind in ihrer Scheichverkleidung so exotisch wie austauschbar; die Bereitschaft der Frauen, sich auf „ganz andere“ Männer einzulassen, ist für den gänzlich eingeweihten Zuschauer (und -hörer) nichts anderes als die naheliegendste Idee einer „Abwechslung“: der Partnertausch. Die beständig tollpatschige Anmache der Männer — die dramaturgische Schwachstelle der Dreistundenoper — wird als Rollenspiel verständlich. Schließlich arbeiten die Männer an einem Erfolg, den sie sich nicht wünschen dürfen, wenn ihre Selbsttäuschung erhalten bleiben soll. Ganz deutlich führt Dew ihre Eifersucht vor; mit sichtbarer Irritation verfolgen sie die asynchronen Etappensiege des jeweiligen Freundes bei der „falschen“ Partnerin. Man lernt nichts über die allgemeine Schlechtigkeit von Männern und Frauen, dafür aber einiges über die Dumpfheit einer sozialen Spezies, die „eine neue Vertragsmentalität“ in Liebesdingen als letzten Schrei feiert. Nicht ohne List ist dem Programmheft ein dümmlicher Text aus dem 'Wiener‘ beigefügt.
Bekannterweise endet die Geschichte der falschen Gefühle unter ungleichen Bedingungen als echte Oper, mit schwerem Geschütz aus dem Orchestergraben, Chor und Sextetten. Ein monströses, rotes, aufgepumptes Herz fällt durch das zentrale Tor in die Passage, und die Figuren, wenn sie dann in dem Luftherzen vor Scham versinken, zerstören dabei dessen Form; zurück bleibt ein kümmerliches Etwas. Das Publikum, das sich in zwei Akten ausgelacht hat, läßt sich nun dabei erwischen, wie es vom Ernst der Begegnung der „richtigen“ Liebhaber ergriffen wird. Der Umschlag bei den Frauen von Scham in Wut ist durchaus ergreifend. Wenn irgend etwas echt ist, dann wenigstens der Verlust. Ulf Erdmann Ziegler
Wolfgang Amadeus Mozart/Lorenzo da Ponte: Cosi fan tutte. Inszenierung: John Dew; Bühnenbild: Heinz Balthes; Kostüme: José-Manuel Vazquez. Musikalische Leitung: Volker Rohde. Mit Romelia Lichtenstein (Fiordiligi), Hellen Kwon (Despina), Marek Torzewski (Ferrando), Robert Heimann (Guglielmo) und anderen. Malsaal: Edgar Lange; Tischlerei: Stefan Dingethal. Oper Leipzig: Nächste Aufführung erst wieder in der neuen Spielzeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen