: Monetäre Einheit — politischer Zwiespalt
Zwei Jahre nach der Währungsunion in der Ex-DDR: Erst Tischlein-deck-dich, dann Knüppel-aus-dem-Sack ■ Von Elmar Altvater
Auch die Sachverständigen haben sich geirrt, bekannte jüngst Finanzminister Waigel, um das finanzpolitische Debakel zu entschuldigen, das durch die unerwartet hohen Transferleistungen vom Westen in den Osten entstanden ist. Das nach der Währungsunion vom 2. Juli 1990 geöffnete Loch verschlang im letzten Jahr immerhin 140 Milliarden DM, in diesem Jahr werden es an die 180 Milliarden DM sein. Manchmal ist es besser, nicht auf die Sachverständigen zu hören — zumal wenn diese aus Forschungsinstituten und Räten stammen, die von der Regierung zum Teil selbst bezahlt werden.
Das ökonomische Desaster in den neuen Bundesländern nach der Währungsunion war voraussehbar. Doch wer damals in der D-Mark-trunkenen Einigungseuphorie auf die zu erwartenden Probleme hinwies, galt nicht nur als Miesmacher, sondern als jemand, der die deutsche Einigung wohl gar nicht wollte. In nationalen Fragen ist es auch hierzulande üblich, den gesunden Menschen- und Sachverstand abzulegen und mit einem Brett vor dem Kopf die Perspektive zu vernageln.
Die Währungsunion besiegelte die schlagartige monetäre Einheit der beiden Deutschländer. Mit der Geldwährung zog eine gemeinsame „Begriffswährung“ ein; es wurde ein einheitlicher Raum zwischen Oder und Rhein hergestellt. So konnte die Differenz zwischen den beiden Teilen Deutschlands erst richtig erfaßt und gefühlt werden; die Sicht wurde von keiner Mauer mehr begrenzt. Der Ost-West-Vergleich fand nicht mehr auf der Transitautobahn und vor der Glotze statt, er zog ins Alltagsleben ein.
Die Einführung der harten D- Mark vor zwei Jahren in der damaligen Noch-DDR war die härteste Schocktherapie, der Ökonomie und Gesellschaft eines ehemals realsozialistischen Landes auf dem Übergang in eine moderne Marktwirtschaft ausgesetzt wurde. Die verordnete Währungskonvertibilität beseitigte auf einen Schlag jede Gestaltungsmöglichkeit des Wechselkurses zur wirtschaftspolitischen Beeinflussung des Transformationsprozesses. Der westdeutsche Währungsraum mit seinen Regeln wurde ausgeweitet, die Preise freigegeben und eine schnelle Privatisierung beschlossen. Übergangsfristen gab es nicht, nur viel Geld, das vom Westen in den Osten gesteckt wurde: Tischlein-deck-dich!
Die D-Mark ist stark, weil sie von der Deutschen Bundesbank knapp gehalten wird. Wer erwartet hatte, nach der Währungsunion mit der harten Währung Zugang zu der glitzernden Warenwelt zu erhalten, bekam sehr bald die Knappheit in der Börse oder auf dem Konto zu spüren. Für die Ostunternehmen bedeutete das neue Geld sofort eine harte äußere Restriktion. Wer sich unter das D-Mark-Regime begibt, darf sich nicht wundern, daß nur diejenigen über reichlich Geld verfügen, die in der kapitalistischen Leistungsgesellschaft Leistungen erbringen, die vom Markt honoriert werden. Jeder ist nun seines Glückes Schmied — aber nicht allen werden die Voraussetzungen beschert, das zu schmiedende Eisen zu erwerben und dann noch das fertige Produkt an die Leute zu bringen. Denn mit der Währungsunion ist Ostdeutschland ein Teil des Weltmarkts geworden, und da tummeln sich bereits viele erfolgreiche Schmiede, die ihre Claims hartnäckig verteidigen.
Von heute auf morgen wurde die Rentabilität an westlichen Marktzinssätzen gemessen und bewertet, gewogen und zu leicht befunden: Knüppel-aus-dem-Sack. Das Fazit lautete: Nicht konkurrenzfähig, „marode“ und vor allem hoffnungslos überschuldet. Denn mit der Währungsunion hatte man zwar die neue D-Mark eingeführt, aber die alten DDR-Mark-Schulden nicht gestrichen, sondern nur gemäß dem Umstellungssatz abgewertet. Die Morgengabe für den Neuanfang war eine drückende Schuldenlast, die selbst den moderneren Unternehmen der Ex-DDR einen Klotz ans Bein band und ihre Gehfähigkeit in der Marktwirtschaft beschränkte. Inzwischen steht die Treuhand für die Schulden der Unternehmen gerade. Allein 1991 waren dafür mehr als 30 Milliarden D-Mark fällig — ohne daß mit diesem Geld auch nur ein Arbeitsplatz geschaffen worden wäre.
Blaues Wunder statt Aufschwung
Unter all diesen Rahmenvorgaben war die massenhafte Pleite von Ex- DDR-Betrieben vorauszusehen und daher nur für diejenigen überraschend, die an die vollmundigen Versprechungen der Politiker vor der Währungsunion geglaubt hatten. Statt eines Wirtschaftswunders mußten die Menschen zwischen Elbe und Oder das blaue Wunder der Marktwirtschaft erleben.
Durch die Pleitewelle wurden Beziehungsgeflechte der alten Planwirtschaft zerstört, die für jede funktionierende Wirtschaft unabdingbar sind. Den Rest bewerkstelligte die Privatisierungsstrategie, wie sie im Einigungsvertrag vorgeschrieben wurde: Rückgabe von Eigentum und eine Privatisierung, die mit der Zerschlagung von Kombinaten durch die Treuhand einherging. Eine Volkswirtschaft ist so produktiv wie die Netzwerke, in die die einzelnen Unternehmen eingesetzt sind. In Ostdeutschland aber wurden innerhalb kürzester Frist das bestehende Geflecht zerschnitten. Dies hatte einen beabsichtigten politischen Effekt: Die produktiven Netzwerke waren oft gleichbedeutend mit alten Seilschaften, denen man das Wasser abgraben und die Macht aus den Händen nehmen wollte. Sie sollten keine Chance haben, auf den nur ihnen zugänglichen und bekannten Kanälen wieder an Schaltstellen der Macht zurückzukehren.
Die alte Nomenklatura mußte weg — so gut, so schön. Jedoch ließ man auch zu, daß in die geräumten Leerstellen neue Beziehungsgeflechte und auch Seilschaften aus dem Westen nachrücken konnten, die natürlich alles andere im Sinn hatten, als den versprochenen „Aufschwung Ost“ herbeizuführen. Die ausgeliehenen Manager, die ihre Chance witternden Betriebswirtschaftsstudenten oder die abkommandierten Bürokraten arbeiteten, und sie arbeiten für den Aufschwung West. Der setzte nach der Währungsunion in der alten Bundesrepublik so ungestüm ein, wie schon seit Jahren nicht mehr. Von den 140 Milliarden D- Mark, die 1991 von West nach Ost gepumpt wurden, flossen mehr als 90 Prozent gemächlich gen Westen zurück. Dort sammelten sie sich in den dafür bereitstehenden Auffangbecken: Auf den Konten der Westunternehmen und Banken, die — gentlemen's understatement — ein blendendes Geschäftsjahr verbuchen konnten.
Die Währungsunion war ein Akt der „Verwestlichung“ der ehemaligen DDR — jedoch ohne alle notwendigen Bauteile für eine erfolgreiche Modernisierung mitzuliefern. Der Rentabilitätsstandard wird durch die Zinsen vorgegeben. Er ist in einer Ökonomie nur zu erreichen, wenn ihre Strukturen ökonomisch, sozial, ökologisch kohärent und daher effizient sind. Gemessen an den neuen Standards des D-Mark-Raums jedoch waren die produktiven Kräfte der Ex-DDR nur noch die Hälfte oder weniger wert: die Verkehrsinfrastruktur vernachlässigt, die Bausubstanz heruntergekommen, die Technik und Technologie einseitig, die an der Arbeitsteilung des RGW orientierte Branchenstruktur überindustrialisiert. Selbst das Qualifikationspotential und die wissenschaftliche Forschung, auf die man sich in der ehemaligen DDR viel eingebildet hatte, paßten nicht mehr so recht in das neue Anforderungsprofil.
Eine einheitliche „Begriffswährung“, das bedeutet auch die Beherrschung der spezifischen Sprache und Sprachregelungen sowie der Umgangsformen: Man muß sich im Institutionengeflecht der BRD (und der EG) auskennen. Das setzt einen Habitus voraus, der nur in vielen Jahren erworben werden kann. Wer nicht über die Begriffswährung verfügt, ist ein armer Schlucker und wird abgewickelt. Kein Wunder, daß die freigewordenen Stellen fast nur mit Wessis besetzt werden, die über die Begriffswährung verfügen. Die Ossis bleiben außen vor. Wer die D- Mark wählt, wählt ein gesellschaftliches System mit seinen Gratifikationen, aber auch mit seinen Sanktionen. Wer die geforderten Leistungen nicht erbringt, fliegt raus. Der D- Mark-Kapitalismus ist nicht brutaler als andere kapitalistische Gesellschaften auch, er ist aber auch nicht freundlicher, sieht man einmal von dem finanziellen Schmiermittel auf dem Rutsch in die neue Marktwirtschaft ab.
Auf dem Weg ohne Umkehr hilft der Blick zurück im Zorn niemandem. Doch scharf genug zurückgeblickt erkennt man die Keimlinge, aus denen die Gewächse der Zukunft entstehen. Wie leicht war es für die Einigungspartei mit ihrem Einigungskanzler, nach Osten zu expandieren und das Wahlvolk für sich zu enthusiasmisieren. Die neu errungene Einheit versperrte dabei den Blick auf die Distanz. Es hat keine zwei Jahre gedauert, bis sie sich politisch artikuliert: Mit den Versuchen der Gründung einer Ostpartei. Dahinter steckt mehr als nur ein politischer Strohhalm für die PDS oder eine weitere Eskapade des Peter Michael Diestel. Die Ostpartei wäre Brief und Siegel auf das Scheitern des Marktmodells, mit dessen Einführung man den Menschen in Ostdeutschland eine moderne Industrie-, Wohlstands- und Konsumgesellschaft versprach.
Den D-Mark-Raum gen Osten auszuweiten ist eine Sache. Die Übertragung der sozialen Normen, politischen Formen und vor allem ökonomischen Strukturen, die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten, eine ganz andere. Die Ostpartei ist somit gewissermaßen die Quittung für die Unredlichkeit des westlichen politischen Establishments. Man kann mit der D-Mark die alten Strukturen der DDR vernichten, aber mit noch so hohen finanziellen Transfers keine neue effizienten ökonomischen Komplexe erzeugen. Auf den Marktmechanismus, auf die privaten Investoren und die Bonner Begleitmusik allein ist kein Verlaß.
Die Diskussion um die Ostpartei erinnert ein wenig an den alten Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten der fünfziger Jahre. Der verschwand, als das westdeutsche Wirtschaftswunder die Heimatvertriebenen in die neue Heimat integrierte und die Entrechteten entschädigt worden waren. Doch seit der Währungsunion ist die Distanz zwischen Westen und Osten nicht kleiner, sondern größer geworden. Die Bonner Konzeptlosigkeit hat den sozialen und ökonomischen Zwiespalt vergrößert. Niemand sollte sich also wundern, wenn dieser sich nun auch politisch artikuliert.
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