: Jazz nur in Obertönen
■ Von 3. bis 20. Juli im Club »Quasimodo«: Tanzbarer Worldbeat und schwarze Roots beim Festival »Jazz in July«
Lang vorbei sind die Grabenkämpfe zwischen den musikalischen Revolutionären des Bebop, Modal- oder Free Jazz. Seit langem dominiert kein eindeutiger Stil mehr. Man hat sich eingerichtet und ist ausdifferenziert.
Während es der Workshop Freie Musik in der Akademie der Künste von 8. bis 12. Juli fertigbringt, das Wort »Jazz« ganz zu vermeiden, fahren die Quasi-Productions auf der klassischen U-Musik-Schiene. Tanzbarer Mainstream und schwarze Bühnenpräsenz sind auch beim diesjährigen Festival Jazz in July wieder obligatorisch.
Abseits des subventionierten Konzertjazz (Jazz across the border klingt an diesem Wochenende im Haus der Kulturen der Welt aus) feiert im Quasimodo »Berlins definitives Clubfestival« (Eigenwerbung) den fünften Geburtstag in eigener Regie. Und dem legendären Club mit dem kleinen Budget und dem großen Namen ist es tatsächlich wieder einmal gelungen, ein hörenswertes Programm zusammenzustellen — auch wenn Superstars diesmal kaum eingekauft werden konnten.
Doch was heißt hier »Jazz«? Den Eröffnungsgig (3.7.) spielt Roy Ayers (unterstützt von Stevie- Wonder-Musikern). Seine Message lautet: »Wake Up!« Seit dreißig Jahren im Geschäft, einst Jazzvibraphonist, als Jazzrocker elektronisch aufgerüstet, als Funksänger erfolgreich und als Afrikareisender von Fela Kuti beeinflußt (»Africa, Center of the World«), kramt der 1940 in L.A. geborene Afroamerikaner heute im Anti-Drogen-Koffer mit seiner schillernden Botschaft an die Jugend: »You got the Power« — Rap zwischen Wetterkarte und individualistischer Sozialkritik mit funkigem Background.
Während Rap- und HipHopper den historischen Funkbassläufen eines Alphonso Johnson (»Cucumber Slumber«) oder den spirituellen Saxophonlinien eines John Coltrane (»A love supreme«) per Samplingverfahren modegerechte Wiederbelebungsversuche angedeihen lassen, räsoniert der Überlebende Joe (Josef Erich) Zawinul über bleibende Werte und ausbleibende Tantiemen. Miles Davis habe ihm die Kunst des Entertainments nähergebracht, und ausgerechnet die österreichische Folklore befähigte den Wahlamerikaner zu einem standfesten Rhythmiker: »Ich komme von der Volksmusik.« Die Kriegsshow am Persischen Golf inspirierte ihn — via TV in seiner hoch über dem Pazifik gelegenen Malibu-side-Villa — zu der Komposition Patriots, »unseren Soldaten, den unzähligen schwarzen Kids, die freiwillig in diesen Krieg zogen, ohne zu Hause eine angemessene Chance zu haben«, gewidmete, erdig-elektronische Bluesprogressionen im polyrhythmischen Up- Tempo (erscheint im Herbst 92 auf dem Syndicate Album »Lost Tribes«).
Zeitgemäß und trendig kommt der einstige Keyboardrevolutionär im Weltmusik-Groovekittel daher, mit afroamerikanischer Truppe, handtrommelnd und singend, während er auf seinem eigens designten PePe- Gerät kabellos und sechstönig die Midi-Technik anblasen wird (5.7.).
Neben vielen alten Bekannten — Paul Motian (6.7.), Paquito D'Rivera (7.7.), Maynard Ferguson (10.7.), Lester Bowie (13. u. 14.7.) oder Steve Coleman (19.7.) werden auch zwei kalifornische Newcomer im Rahmen des Festivals vorgestellt: Der Saxophonist Art Porter wird seinen CD-Erstling Pocket City präsentieren, sommerlicher Relaxfunk mit viel Dank an Gott und den Produzenten. Porter gehört zu der jüngeren, studierten Jazzgeneration, diplomiert und trainiert, das zu spielen, was das Publikum vermeintlich hören will. Wenn sein Manager nur nicht versäumt, ihm mitzuteilen, daß man hier die grassierende Unart steriler Konservenreproduktion überhaupt nicht mag, kann's vielleicht gelingen.
Der andere Neuling Vinx ist von Sting produziert und bereits auf dessen letzter Worldtour gefeatured worden. Sein CD-Einstieg Rooms in my fatha's house (1991) weist Herbie Hancock und Branford Marsalis als zugkräftige Sidemen aus.
Vinx nennt seine Musik bescheiden »Prehistoric Pop« und weist jeden Verdacht von sich, gefällig zu sein. Nein, er mache nur das, wovon er überzeugt sei. Das hört sich dann wie eine Mischung aus Terence Trent d'Arby, George Benson und Sting an, mit Reggae- und African Grooves unterlegt.
Ganz ohne Prominenz, nur mit Percussion und Gesang treten Vinx und »seine bellenden Füße« zum Berliner Clubdebüt an, und hier sollte dann auch in Erfahrung zu bringen sein, ob »American Ethnic« nur ein weiteres Label für musikalische Belanglosigkeit ist oder was ein HipHopper mit einer westafrikanischen Trommel anfangen kann (16.7.).
Die Festivalabteilung Roots wird bestritten von einer Allstarband gleichlautenden Namens (unter anderem mit Arthur Blythe, Sam Rivers, Don Pullen und Santi Debriano — 17.7.) und der einzigen Festivalformation mit in Berlin lebenden Musikern, dem Jocelyn B. Smith Jazz Project: eine 12köpfige Minibigband-Premiere mit Reggie Moore, Rudy Stevenson und Ronnie Stephenson am 12.7.
Zur Abschlußparty im Tempodrom (20.7.) kommen schließlich die Renner des ausverkauften Vorjahreskonzerts, James Brown's Funky People mit Maceo Parker & Roots Revisited und der Bobby Byrd Show (auch am 18.7. im Quasi).
Überwiegend ein Festival afroamerikanischer Musik der populären und tanzbaren Art also. Jazzige Obertöne, hier und da verstreut, rechtfertigen allein den Titel »Jazzfestival« noch nicht. Vielleicht aber bietet gerade dieser Ausschnitt der aktuellen Mainstreamszene, der von den großen europäischen Jazzfestivals zum Ausflug nach Berlin verpflichtet wurde, nicht einen Aufblick zu der offiziösen Definition, was denn »Jazz« sei? Dafür aber fühlt sich das Quasi eher nicht zuständig, und es täte der Musik auch nicht gut, in überzogenen Ansprüchen und Erwartungen ungehört zu verpuffen. Anstelle ambitionierter Abenteuer verläßt man sich hier auf solide Facharbeit. In der Kellersauna am Savignyplatz erwartet die fingerschnippenden und fußwippenden Hiergebliebenen ein allemal abwechslungsreiches Programm, gut für die eine oder andere Überraschung, zum Abschwitzen und den erlösenden Drink danach — einfach um zu fühlen, warum der Sommer in dieser Stadt zum Besten zählt, was sie zu bieten hat. Christian Bröcking
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