: Die OAU zwischen Staaten und Menschen
Debatte über Sinn und Unsinn der Organisation für Afrikanische Einheit/ Die Rolle der Staaten in einer gewandelten Welt ■ Aus Dakar Dominic Johnson
„Man muß die OAU auflösen!“ schreit ein Geschäftsmann aus Mali ins Mikrofon. Wenn er Schafe nach Senegal importiert, muß er hohe Zölle zahlen; wenn er nach Kenia reist, kann er seine Währung nicht umtauschen; das beste Flughafenessen bekommt er in Südafrika. Was hat er von der Organisation Afrikanischer Einheit? Nichts!
Applaus dröhnt durch den Saal der senegalesischen Handelskammer in Dakar, wo pünktlich zum Gipfeltreffen die Elite des Landes zwischen Samtvorhängen und Kolonialstuck Sinn und Unsinn der OAU diskutiert. „Was sehen die Senegalesen von der OAU?“ fragt der muslimische Würdenträger Scheich Tiojane Tau. „Staatschefs, die am Flughafen empfangen werden.“ Tatsächlich — das Nachrichtenprogramm des staatlichen Fernsehens am Sonntag mittag dauerte anderthalb Stunden. Denn immer wieder wurde zum Flughafen geschaltet, um diverse Präsidenten und Premierminister live den roten Teppich abschreiten zu sehen.
Das Verschwinden von Staaten organisieren
Die offiziösen Bilder bestätigen die Diagnose des Historikers Mamaodu Diouf, daß die OAU-Gründung 1963 vor allem den Stolz der afrikanischen Staatengründer widerspiegeln sollte. „Die OAU“, sagt er, „ist ein Produkt des Nationalismus.“ Sie entstand zu dem Zeitpunkt, als die neuen Staaten Afrikas sich zu Diktaturen wandelten. Heute, im Zeitalter des demokratischen Wandels, hat sie ihre Rolle verloren.
„Ihr Intellektuellen macht einen Fehler“, sagt dazu der Generalsekretär der westafrikanischen Journalistenunion. „Ihr haltet die Politiker für genauso klug wie euch selber. Aber sie haben keine Ideen, keine Visionen. Sie handeln aus reinem Überlebensinteresse.“ Diouf stimmt ihm zu: „Die Menschen müssen sich vom Staat abwenden. Sie müssen die Kultur des Staates abschütteln.“ Die Ereignisse in Jugoslawien und Somalia belegen für ihn die Legitimationskrise des Staates: „Nicht alle heute existierenden Staaten können überleben. Man muß ihr Verschwinden planmäßig organisieren. Ihre Geschichte ist zu Ende.“
In diesem Kontext ist auch die Idee einer panafrikanischen Friedenstruppe problematisch. Wenn die Selbstbestimmung der Völker zum Zerfall der Staaten führt, meint Scheich Tiojane, sind die Staaten im Unrecht, nicht die Völker. Da braucht keiner zu intervenieren. Der Jurist Malick Noiaye erinnert daran, daß die OAU 1982 — mit senegalesischer Beteiligung — in Tschad intervenierte, um die libysche Einmischung zu konterkarieren. Ergebnis: Hissein Habre wurde Präsident, errichtete ein Terrorregime und genießt heute, nach seinem Sturz, Exil in Dakar. „Die OAU“, schlußfolgert er, „ist eine Institution, in der die Staaten die Konsequenzen ihres Handelns ignorieren dürfen.“
„Warum dürfen sich heutzutage nur Europäer in die inneren Angelegenheiten afrikanischer Länder einmischen?“ fragt Mamadou Diouf zurück. Die Idee der OAU, ein Gremium von Staatschefs mit „präventiver Diplomatie“ zur Verhütung von Konflikten zu beauftragen, hält er aber ebenfalls für abwegig. Die ursprüngliche Überlegung habe nämlich darin bestanden, dem OAU-Generalsekretär ein informelles Gremium von Wissenschaftlern und Intellektuellen beizuordnen, um bei Krisen unkonventionelle Lösungsideen entwickeln zu können. Nun sei daraus ein bürokratisches Organ geworden, das zum Scheitern verurteilt sei: „Präventive Diplomatie setzt voraus, daß man Wissen sammelt und daraus Prognosen herleitet. Die OAU kann weder das eine noch das andere.“ [Sehr schön. Und was sagen nun die Afrikanerinnen zur OAU und diesem Männergequatsche? d. Säzzerin]
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