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»Manchmal weinen die Leut'«

■ Das Schweizer Blues-Duo »Blues Max« erzählt und spielt Geschichten vom Leben als Blues

Das Spiegelzelt der »Bar jeder Vernunft« verströmt immer noch ein wenig den Duft niederländischer High-Society-Gäste, die während ihres sommerlichen Seeaufenthaltes in den zwanziger Jahren ihren Reichtum in den vielen kleinen Kristallspiegeln selbstverliebt zu reflektieren pflegten. Kaum haben die langbeschürzten Kellner ihre Aufwärtertätigkeit fürs erste verrichtet: »Pardon die Dame, das Programm hat keine Pause, was darf ich noch bringen?«, treten zwei Männer hinter dem roten Vorhang hervor und erklimmen, etwas umständlich über ihre Gitarren hinwegsteigend, das kleine Bühnenpodest. Wie aus einer anderen, ganz prosaischen, diesseitigen Welt wirken der Kleine mit seiner bestickten Schirmmütze und sein wortkarger Kumpane mit der coolen Sonnenbrille. Es stört sie nicht. Stur klinken sie sich in ihre Gitarren ein, fischen das Plektrum zwischen den Zähnen hervor — ein kurzer Blick zwischen zwei traurigen Augenpaaren, ein knappes Kopfnicken, und schon entführen uns die Gitarren von Werner Widmer und dem Blues Max. Raus aus der holländischen Strandbar, rein in den tiefen Süden der Baumwollpflücker. Dorthin, wo die Sonne am heißesten, der Blues am intensivsten ist.

»Möge die Übung gelingen«, hatte sich der Blues Max zu Beginn des Programms selbst zugeraunt, und sie gelang. Zwischen exzellenten Instrumentalstücken, die die wenigen Zuhörer an den kleinen Marmortischchen vom ersten Akkord an gefangennahmen, philosophierte der Blues Max in helvetiagefärbtem Hochdeutsch über das Wesen des Blues — »you've got it, oder du gotst es eben nicht, oder?« —, übers Anfangen, Aufhören, über die heiße Wüste Afrikas und den alltäglichen »Blues auf'm Dorf«.

»Montag morgen im Himmel um zwanzig nach acht ist immer der Blues«, weiß der Blues Max mit seiner göttlichen Stimme zu berichten, und sein sakrosankt spielender »Chief« nickt dazu sein stummes O.K. Das ist der Blues, oder? Yeah, it is!

Das Wundersame am Blues Max ist gar nicht mal die hervorragend gegebene Musik, sondern das einzigartige Gespür, mit dem Werner Widmer und Max Lässer die Seele des Blues aus ihrem Ursprungsland in eine ganz andere, schweizerische Welt transplantieren — und trotzdem schlägt das Herz des Blues im Viervierteltakt weiter, ist die Übung gelungen, der Blues noch voll da.

»In der Schweiz spielen wir manchmal zwei, drei Stunden am Stück«, erzählt mir Max Lässer nach dem ersten Gig vor der »Bar jeder Vernunft«. Da hat er das wildgemusterte Hemd und die Schirmmütze »von irgendwoher, wo es Elefanten gibt«, abgelegt, den Blues Max auf den Bügel gehängt und genießt erst mal als Max Lässer ein kühles Pils. Seit drei Jahren füllen die beiden in der Schweiz als »Blues Max« große Säle, erzählen ihre mal melancholischen, mal ironischen, auch traurigen Geschichten von Onkel Hermann, der einfach gar nie den Blues hat, vom armen Kasimir Benz oder von dem Mann, der seinen Himmel auf Erden nicht mehr finden konnte. »Manchmal weinen die Leut', odr!« weiß der Blues Max. Aber hier in Berlin müssen sie ganz neu anfangen, erst ausprobieren, »was hier geht und was hier nicht geht«. Das finden die beiden spannend, wie das Leben, der Blues überhaupt immer spannend ist. Daß das Zelt in der ersten Woche noch nicht voll ist, daß die Leute an diesem Wochenende erst nach ihrer Show eintröpfeln, weil sie im Nachtsalon die Magierin Fay Presto sehen wollen, schreckt die beiden nicht. Auch sie können auf ihren Instrumenten zaubern. Und vielleicht sind ja schon bald sie der Geheimtip der Berliner Sommersaison. The blues is a story. Und wer kann schon ahnen, wie die ausgeht? Klaudia Brunst

Der Blues Max: bis Ende Juli, freitags bis montags 21 Uhr in der Bar jeder Vernunft, hinter der Freien Volksbühne, Schaperstraße

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