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Zurück zu den Ohrwürmern

■ Lester Bowies New York Organ Ensemble bei »Jazz in July« im Quasimodo

Fröhlich trompetend stolzierte einst ein Elefant durch die Savanne, hochzufrieden mit sich und seinen akustischen Errungenschaften, bis er auf jemanden traf, der noch lauter und schräger trompeten konnte.

Das wollte der Elefant natürlich nicht auf sich sitzen lassen und er hub an, die wunderlichsten und verdrehtesten Töne zu produzieren, die sein Rüssel nur hergeben wollte. Doch auf jede noch so schrille und skurrile Kreation des Elefanten hatte der seltsame Trompeter in der afrikanischen Savanne eine schrillere und skurrilere Antwort.

Bis in den späten Abend hinein trieben die beiden ihren schallenden Schabernack, dann trottete der Elefant, eine Spur bescheidener geworden, nach Hause. Lester Bowie aber ging nach New York und gründete eine Band. So, oder so ähnlich, kam der Jazz in die Welt.

Auf der Bühne des Quasimodo hatte der leicht angegraute Trompeter im gewohnten weißen Arztkittel die Rolle des Elefanten mit dem Saxophonisten James Carter besetzt, einem hochtalentierten Vertreter jener jungen amerikanischen Musikerspezies, die durch Zufall nicht beim Rap, sondern beim Jazz gelandet ist. Cool bis ins Mark, lässige Gestik, adretter Anzug, die kurzen Pomadelocken eines Filmschurken aus den dreißiger Jahren, huldvolles Lächeln bei der Entgegennahme von Ovationen, verträumter Miguel-Indurian- Blick beim Musizieren und ein Organ, neben dem das Nebelhorn eines Ozeandampfers wie ein sanftes Säuseln wirkt. Wohlgefällig betrachtet vom leicht im Takte schwankenden Meister Bowie, läßt Carter hauchzarte Sequenzen abrupt in brutale, rasende Tonkaskaden umschlagen, angestachelt vom routinierten Don Moye am Schlagzeug, der den jungen Burschen mit unbarmherziger Dynamik in den Saxophonen-Wahn treibt.

Dann schlurft wieder Lester Bowie nach vorn, setzt die Trompete an die Lippen, läßt sie wild kreisen oder visiert konzentriert wie ein Betrunkener das Schlüsselloch eines seiner Mikrofone an, um das Instrument plötzlich wieder in die Luft zu reißen und einen brüllenden Ton zu spielen, der ihn fast umwirft. Hat er genug gewütet, schlurft er krokodilartig grinsend in den Hintergrund und läßt den nachdenklichen Posaunisten Julian Priester oder den fröhlichen Gitarristen Jean Paul Bourely ihre Soli spielen.

Vorbei sind die Zeiten, als Bowie bei seinen Konzerten ausgiebig auf kleinen Glöckchen herumklimperte, minutenlang Trillerpfeife spielte und Harmonien nur dazu benutzte, sie Sekunden später, wenn das Publikum gerade auf sie ansprang, erbarmungslos zu zerschmettern, zu sezieren und der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Zeit der Experimente ist vorüber, statt dessen gibt es prallen, wuchtigen Jazz. Ohrwurm folgt auf Ohrwurm, und Saxophonist Carter darf seine Virtuosität sogar in einer elegischen Ballade austoben. Zusammengehalten wird das ganze von Amina Claudine Myers, die mit vergeistigtem Gesicht an ihrer Orgel sitzt, so als spiele sie noch in der Kirche ihres Heimatortes Little Rock. Gelegentlich am Kognak nippend, unterlegt sie die Improvisationen der anderen mit einem voluminösen Klangteppich, bis sie selbst an der Reihe ist, ihrem, im Jazz recht ungewöhnlichen Instrument gewagte Tongebilde entlockt oder ihre liebliche Stimme erhebt, dies allerdings leider nur einmal.

Am Ende tobt das vollbesetzte Quasimodo begeistert nach mehr, doch als die Musiker nach der ersten Zugabe strahlend zu einer weiteren Verbeugung auf die Bühne kommen, ist sofort klar, daß es die letzte ist. Lester Bowie hat seinen Arztkittel ausgezogen. Schluß der Operation Ohrwurm. Exitus. Matti Lieske

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