: Unwürdige Bedingungen
■ Die Studie Pop in Hamburg belegt die katastrophalen Zustände für die Rockmusiker
belegt die katastrophalen Zustände für Rockmusiker
Riekje Weber, ebenso Bürgerschaftsabgeordnete der SPD wie Mitsängerin bei der A-capella- Truppe Die Sirenen, hat im Auftrag der Kulturbehörde eine Studie über Pop in Hamburg erarbeitet. Das 70seitige Werk versucht, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der nichtklassischen Musiker Hamburgs umfassend zu ergründen. Von der musikalischen Sozialisation und Qualifikation bis zur aktuellen Auftrittssituation in Hamburg reicht das Spektrum der Themen. Vielfach werden die einzelnen Fragestellungen mit Statistiken illustriert, die allerdings auf Stichproben beruhen.
Kern der Studie aber sind Einzelinterviews mit Musikern, die leider ziemlich unleserlich sind, da sie völlig unbearbeitet wiedergegeben werden. Selbst jedes begleitende „hm“ der Interviewerin wird mit abgedruckt und macht die Texte so zu einer Qual für den Leser. Ein präzises Zitieren wäre hier weit sinnvoller gewesen.
Dennoch liefert die Studie erstmalig einen relativ umfassenden Überblick über diese kulturpolitisch vernachlässigte Branche. Die unwürdigen Übungsraum-Zustände im Hamburg kommen ebenso zur Sprache wie der immer stärker werdende Druck schon für Amateure, mit professionellen Marktstrukturen umzugehen. Wichtigstes Ergebnis neben den krassen Mängeln im Proberaum- und Auftrittsbereich ist, daß nur knapp ein Zehntel der befragten Musiker den gesichterten Lebensunterhalt mit Musik verdient, obwohl zwei Drittel professionell arbeiten möchten.
Helmut Tschache, Referatsleiter Musik in der Kulturbehörde und Auftraggeber der Arbeit, der für den gesamten Rock- und Popmusikbereich ein Mini-Budget von 225000 Mark verwaltet, erhofft sich von dieser Studie eine wesentliche Argumentationshilfe bei zukünftigen Etatberatungen. Für 1993 hat sich jedoch leider wieder nichts getan. Dennoch ist er bemüht, insbesondere in der Zusammenarbeit mit den Hamburger Musikerinitiativen wie Rock-City, dem Rock-Büro oder den Musizierenden Toiletten, neue Fördermodelle für eine Szene zu entwickeln, „die sich nicht selbst artikuliert“. Ansätze wie die Freispiel- und die Unerhört-Reihe, bei denen Gruppen Auftritte finanziert werden, haben sich bewährt und sollen ausgebaut werden, zum Beispiel durch die Finanzierung von Tourneen. Wunschvorstellung ist es, daß in Zukunft hoffnungsvollen Bands auch Demo-Produktionen finanziert werden können.
In Sachen Übungsräume bemüht die Kulturbehörde sich um Räume in den Kasernen Rahlstedt und Alsterdorf. Allerdings hat hier die Umwandlung in Unterkünfte für Asylanten Vorrang. Darüber hinaus werden weiterhin Bunker umfunktioniert. Bleibt nur zu wünschen, daß die Studie gerade auch bei politischen Entscheidungsträgern jenes neue „Bewußtsein“ schafft, das Helmut Tschache sich davon erhofft. Till Briegleb
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