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„Vichy, das war doch nicht die Republik!“

Mitterrand lehnt Frankreichs Verantwortung für Judenverfolgung ab/ Vor 50 Jahren wurden 13.000 Juden in Paris verhaftet und deportiert  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Einen Blumenstrauß hat Präsident Mitterrand für die 12.884 Juden übrig, die vor genau 50 Jahren von französischen Polizisten in Paris aufgespürt, eingepfercht und in deutsche Gaskammern geschickt worden sind. Mehr als ein Blumenstrauß ist bis heute nicht drin. Denn mit dem Vichy-Frankreich der Jahre 1940-44 will das offizielle Frankreich nichts zu tun haben: Am Nationalfeiertag wies Mitterrand den Appell von einigen hundert Persönlichkeiten brüsk zurück, die ihn aufgefordert hatten, endlich anzuerkennen, „daß der französische Staat von Vichy verantwortlich ist für die Verfolgungen und für die Verbrechen an den Juden in Frankreich“.

Die großangelegte Judenverfolgung in Frankreich hatte am 16. Und 17. Juli 1942 mit einer ersten Razzia in Paris begonnen. 9.000 Franzosen — Polizisten, Gendarme, Busfahrer — machten Jagd auf 28.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Der damalige Polizeichef Rene Bousquet ging weiter, als von den Nazi verlangt: er lieferte sogar Kinder zwischen zwei und 16 Jahren aus. Seine Beamten hatten eine Adressenliste, die die französische Verwaltung erstellt hatte. Viele Männer hielten sich bereits versteckt, mit einer Gefahr für Frauen und Kinder rechneten die Juden jedoch nicht. Daher wurden vor allem sie zu Opfern: 4.051 Kinder, 5.802 Frauen und 3.031 Männer wurden fünf Tage lang unter glühender Hitze im Velodrome d' Hiver im 15. Pariser Arrondissement eingesperrt, bevor sie in Sammellager und von dort nach Ausschwitz gebracht wurden.

Die aus Frankreich deportierten Juden — insgesamt 75.000 Menschen — erscheinen bis heute als Opfer der deutschen Barbarei, heißt es in dem Appell der Intelligentzija. Dabei „hat der französische Staat von Vichy die Juden ohne Aufforderung der Deutschen in eigener Autorität aus der nationalen Gemeinschaft ausgesondert, indem er am 3. Oktober 1940 das „Judenstatut“ einführte“. Derselbe Staat habe die Juden systematisch diskriminiert und ihre Verhaftung angeordnet. Angesichts der Opfer und ihrer Nachkommen sei eine Erklärung des heutigen Staatschefs über den Vichy- Staat nötig, zudem „ist das auch ein Verlangen des kollektiven französischen Gedächtnisses, das unter diesem Nicht-Gesagten leidet“, so der Appell.

Doch Mitterrand hält unverbesserlich an De Gaulles Doktrin fest und blendet die vier Jahre der Vichy-Regierung rabulistisch aus der Geschichte aus, so einfach ist das: „Verlangt keine Rechenschaft von der Republik, sie hat getan, was sie tun mußte. [...] 1940, da gab es einen französischen Staat, das war das Vichy-Regime, das war nicht die Republik. Und von diesem französischen Staat muß man Rechenschaft verlangen.“ Er sagte nicht, daß die Nationalversammlung die Republik 1940 auf verfassungsmäßig legitime Weise selbst abgeschafft hatte.

Wenn selbst der Staatschef so argumentiert, wundert das Verhalten der Justiz nicht: Erst vor drei Wochen ist der 82jährige Bousquet endlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden; der Prozeßbeginn dürfte in weiter Ferne liegen. Den Prozeß gegen Touvier, Ex-Milizchef von Lyon, stellte ein Pariser Gericht kürzlich mit der Begründung ein: Vichy „war kein totalitärer Staat und praktizierte selbst keine Politik der ideologischen Hegemonie“. Bei „den meisten hochgestellten Anhängern von Marschall Petain“ herrschte „völlige Unkenntnis der deutschen nationalsozialistischen Ideologie“. Bis heute ist noch kein Prozeß gegen einen Franzosen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eröffnet worden.

An der Gedenktafel des längst abgerissenen Velodrome d' Hiver legte Francois Mitterrand gestern seine Blumen nieder. Einen Strauß schickt er auch jedes Jahr zum Grab von Petain.

Mitterrand selbst — und darüber spricht er nie — hatte 1942 einen Posten in Vichy angenommen und sogar in einer offiziellen Zeitschrift veröffentlicht. Im Jahr darauf schloß er sich der Resistance an. Seine Blumen gelten natürlich nicht dem Staatschef von Vichy, sondern dem Helden des Ersten Weltkriegs — der Präsident hat ein Gespür für feine Unterscheidungen.

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