Den Beruf glaubt mir keiner

■ Markus Liptow gehört zu der Handvoll Berliner, die sich mit einer ungewöhnlichen Arbeit ihr Brot verdienen — Fischen in der Großstadt/ Diebe kommen mit Messer mitten in der Nacht

Markus Liptow hat mit Sargtischlern und Wünschelrutengängern etwas gemeinsam. Wenn er erzählt, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdient, blicken ihm nur staunende Gesichter entgegen. »Das glaubt keiner, daß es in der Großstadt noch Berufsfischer gibt«, sagt der 25jährige. Die Reaktion seiner Mitmenschen überrascht Liptow allerdings nicht. Die Umwelt sei so kaputt, da sei es in der Tat ungewöhnlich, daß in Berlin der Fisch aus dem Wasser geholt werde.

Mit seinem grauen Stahlboot fährt der Fischer viermal in der Woche die ausgelegten Reusen am Niederneuendorfer See an der Oberhavel ab. Morgens um halb sechs ist es auf dem spiegelglatten Wasser bereits so warm, daß es genügt, mit einem T- Shirt bekleidet zu sein. Jetzt im Sommer versucht Liptow mit dem Leeren der Reusen bis halb zehn fertig zu sein. In den Gummistiefeln und der Gummihose werde es ansonsten so warm, daß »sich die Maden tummeln«. Weil die Tage derzeit heiß sind, hat der Fischer wenigstens weniger zu tun als sonst — besonders der Aal kommt zu dieser Zeit nur selten vor.

Aufgrund des warmen Wetters und des wenigen Regens führt die Spree wenig Wasser. Damit nicht alles bis auf den letzten Tropfen wegfließt, halten die Schleusen ihre Tore geschlossen. So verliert auch das Wasser auf dem Niederneuendorfer See an Geschwindigkeit. Und wenn die Havel nicht fließt, werde der Aal faul und gehe nicht ins Netz, weiß Liptow aus leidvoller Erfahrung. Dennoch haben sich auch an diesem Dienstag morgen ein paar dieser schmierigen Fische in Liptows Garn verfangen. Wenn der Fischer die Reuse — ein Netz, das zu einem Schlauch gebunden ist — aus dem Wasser zieht, dann winden sich meist ein, manchmal auch zwei dieser schlangenartigen Tiere so heftig, daß sie das Wasser Liptow bis ins Gesicht spritzen.

Ohne jede Aufregung bindet der Mann in der Gummi-Latzhose das Ende der Reuse auf. Zuallererst greift er sich den Aal, der ihm manchmal wie ein Stück Seife aus der Hand glitscht, und wirft ihn in die Schwöff — ein Becken in der Mitte seines Motorboots, das sich mit dem Wasser des Niederneuendorfer Sees füllt. Manchmal windet sich der lange, dünne Fisch dermaßen, daß er über den Rand des Wasserbeckens springt und auf dem Fußboden des Boots herumschlängelt. Nach dem Aal sammelt Liptow die unter Naturschutz stehenden Rotfedern aus dem Netz, wirft sie zurück in den See, sortiert die Krebse in verschiedene Plastikeimer und wirft den restlichen Fisch — Plötze, Bleie, Zander, Hechte und Barsche zum zappeligen Aal in die Schwöff.

An manchen Tagen kommt es vor, daß die Reusen leer sind. Für Liptow steht dann fest: »Da war vor mir jemand da.« Die Fischdiebe kommen in der Nacht. Die unprofessionellen unter ihnen schneiden Löcher in die Maschen der Stellnetze und »angeln« sich die Beute. Liptow ist dann tagelang damit beschäftigt, die Fischfallen zu flicken. Die professionellen nähmen dagegen die Reusen aus, die besonders gut gefüllt sind, berichtet der Berufsfischer: »Die müssen uns beim Fischen beobachten, sonst könnten sie die ertragreichsten Reusen nicht kennen.« Die Profis knoten das Flechtwerk fachgerecht auf und wieder zu. Einmal habe die Wasserschutzpolizei einen erwischt, »da hatten wir jahrelang Ruhe«.

Schäden entstünden aber auch durch Sportboote, die zwischen den meterhohen Stöcken, an denen die Stellnetze befestigt sind und die als Markierungen dienen, hindurchfahren. Mit ihren Außenborden zerfetzen sie das Maschenwerk — das Flicken könne Wochen dauern. Himmelfahrt sei der schlimmste Tag im Jahr, sagt Liptow, »wenn die Jungs sich einen zur Brust nehmen und dann noch Kahn fahren«. Richtig wütend ist er aber nicht, es scheint, als finde er sich mit den Randalierern genauso ab wie mit den Giften, die noch immer ins Wasser gelangen.

Offenbar läßt sich trotz Umweltgiften und Gaunern vom Fischfang leben. Allerdings müssen die Berufsfischer für den Fisch aus Berliner Gewässern kräftig werben. Bis in den Mai dieses Jahres war es vier Jahre lang verboten, den Fisch zu verkaufen. Diese vier Jahre war das Fischen kein Vergnügen. Die Vermarktung der eiweißhaltigen Delikatessen aus den Westberliner Gewässern war verboten, weil sie aufgrund hoher Belastungen durch polychlorierte Biphenyle (PCB) nicht für den menschlichen Verzehr geeignet waren. Die ungesunden Leckereien mußten bei der Krankenhausentsorgungsgesellschaft abgeliefert werden. Vier Jahre lang habe er nur für das »biologische Gleichgewicht« gearbeitet, sagt der zweitjüngste Berufsfischer Berlins. Der alte und damit besonders stark belastete Fischbestand wurde »befischt«, seltenere Arten geschont. Die gesamten vier Jahre, in denen Liptow nicht Fische gefangen, sondern faktisch Sondermüll eingesammelt hat, hat er die Hoffnung nicht aufgeben wollen: »Wir haben in weiser Voraussicht geahnt, daß die Gewässer irgendwann wieder sauber sein würden.« Wenn sich die neue Nachricht jetzt noch unter den Berlinern herumspricht, glauben sie ihm vielleicht bald wieder seinen Beruf. Dirk Wildt