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PRESS-SCHLAGTränen lügen nicht?

■ Mit heftigen Beschuldigungen gegen Funktionäre sorgt die Goldschwimmerin Dagmar Hase für Aufregung

Da hat er eine strahlende Siegerin erwartet, der Günter Jauch, was denn auch sonst? Goldmedaille gewonnen, überraschend zumal, Dagmar Hase müßte allen Grund zur Freude haben. Und dann saß plötzlich das heulende Elend neben ihm. Immer wieder schluchzend und schluckend ritt die Schwimmerin aus Magdeburg heftige Attacken gegen den Deutschen Schwimmverband (DSV) — und einige seiner Funktionäre im besonderen.

Also, sagte Jauch sichtlich berührt, jetzt reden Sie sich mal die Leber frei. Das tat sie und sorgte für eine Aufregung, die den Goldrummel weit übertraf. „Astrid ist vom Verband behandelt worden wie ein Tier. Ich kann mir nicht vorstellen, überhaupt noch mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten. Da müssen Köpfe rollen.“ Ausgerechnet der Dopingbeauftragte des DSV, Harm Beyer, der bei den Deutschen Meisterschaften in München für die Sperre ihrer Freundin Astrid Strauß gesorgt hatte, durfte Dagmar Hase in Barcelona das Gold umhängen: „Eine Frechheit“, wie sie fand.

Zudem: Hatte der DSV ihren Trainer Bernd Henneberg nicht mit ins Trainingslager nach Toluca gelassen? Mußte sie sich daraufhin nicht sagen lassen, Widerrede gefährde nur ihren Start bei Olympia? War Astrid Strauß nicht zweimal freigesprochen worden, hatte nicht ein wissenschaftliches Gutachten ihre Unschuld bewiesen? Jauch ließ reden und weinen, weinen und reden, das Gespräch lief live im ZDF, nur: Erhellt hat es nichts, gar nichts.

Zu vieles nämlich geht durcheinander, Fakten, Funktionärsschelte, Ost-West-Geschichten und Testergebnisse. Sicher, die Offiziellen des DSV pflegten schon immer arg trampelhaft mit ihren Athleten umzuspringen, Michael Groß sang jahrelang ein Lied davon. Wahr ist aber auch, daß Astrid Strauß' Urinprobe einen Testosteronwert von 12,6 aufwies, ein Vielfaches des Erlaubten und Zeichen für Doping, und bei nachfolgenden Kontrollen mählich auf ein normales Maß zurückging. Tatsache ist weiterhin, daß Strauß ihren Start in München nicht einem Freispruch verdankte, sondern einer einstweiligen Verfügung — eine Methode, die bei ertappten Sportlern inzwischen nicht nur im Schwimmen üblich ist. Und was das Gutachten angeht: Acht bis zehn Glas Bier hätten den Testosteronpegel schwellen lassen; es gibt Wissenschaftler, die das für groben Unfug halten.

Gestern reagierte der DSV: 14 Tage lang soll Strauß in einer Klinik unter Quarantäne gehalten werden, zum finalen Beweis Bier trinken und pinkeln. Man wird sehn, ob's hilft, einen Ausweg aus der allgemeinen Verlogenheit zeigt das nicht. Was fehlt, ist die konsequente Aufarbeitung der Dopingpraxis in Ost und West — der DSV indes drückt sich.

Was soll denn etwa Dagmar Hase vom Dopingbeauftragten Beyer halten, der einerseits konsequent Dopingsünder verfolgen läßt und gleichzeitig für die Freigabe von Anabolika plädiert? Wie etwa ist zu werten, daß der Trainer des neuen Schwimmsternchens Franziska van Almsick vom Landessportbund Berlin nicht weiterbeschäftigt wird nach einigen Gesprächen über seine Doping- Vergangenheit in der DDR, der DSV indes ihn unter Vertrag nimmt: „Wir sind froh, ihn hier zu haben“ (Schwimmwart Hans Hartgoh).

So sind sie, die Wessis: Goldmedaillen nehmen sie gern, ihre Produzenten nur mit spitzen Fingern. Denn: Auch ein Trainer aus der 4x100-m-Staffel, die am Dienstag Bronze holte, kommt vom Ex-Stasi-Club Dynamo, wo Pillen und Spritzen erwiesenermaßen reichlich verwandt wurden. Wer mag noch danach fragen? Viele im Westen nicht mehr, und die im Osten fühlen sich sowieso verfolgt. Nicht nur Dagmar Hase hat die Orientierung verloren. Herr Thömmes

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