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„Versagen“ des UNHCR ist systembedingt

■ Unzureichende Finanzierung und eingeschränktes Mandat behindern die humanitäre Arbeit

Ob die Kriege in Afghanistan und am Golf oder das Schicksal der Kurden im Nordirak — wann immer militärische Auseinandersetzungen und ihre Zivilopfer in den letzten Jahren die Schlagzeilen beherrschten, war das angebliche „Versagen“ des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), des Katastrophenhilfswerks (UNDRO) oder auch des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) ein beliebtes Thema. Im Fall der bosnischen Flüchtlinge gilt die Kritik vor allem dem UNHCR.

Die Kritik geht allerdings an die falschen Adressaten. Wer die Genfer Zentralen der internationalen humanitären Organisationen kennt, weiß, daß die Effektivität ihrer Arbeit ohne die über Jahrzehnte gewachsene Bürokratie größer sein könnte. Auch gibt es Fälle, etwa Afghanistan, in denen wegen vorab nicht ausreichend abgeklärter Zuständigkeiten Doppelarbeit stattfand und mehrere Organisationen unnötigerweise miteinander konkurrierten. Doch das Hauptproblem liegt in der unzureichenden Finanzierung der Organisationen und ihrem beschränkten Mandat. Und dafür sind die Mitgliedsstaaten der UNO verantwortlich.

Beim UNHCR, verantwortlich für die Betreuung von derzeit weltweit über 17 Millionen Flüchtlingen, herrscht seit Jahren ein großes Defizit. Zahlreiche Stellen in wichtigen Außenbüros in Krisenregionen wurden seit 1990 gestrichen. Politisch ist der UNHCR durch diese Abhängigkeit immer weniger frei, die Einhaltung der Prinzipien der Genfer Flüchtlingskonvention auch offensiv gegenüber einflußreichen Geberländern einzufordern. So hält sich die Genfer Behörde zum Beispiel deutlich zurück mit Kritik an der Asylpolitik der EG oder ihrer Mitgliedsstaaten.

Bei ihren Zuwendungen für das Jahresbudget des UNHCR oder für Notfallaktionen betonen die Staaten in der Regel absolute DM-, Dollar- oder Pfundsummen. Im Vorfeld der Genfer Konferenz fand auf Pressebriefings und Hintergrundgesprächen ein peinliches Wettrennen vor allem zwischen den Staaten dieser drei Währungen statt — wer denn bislang am meisten für die Opfer des Balkankrieges ausgegeben habe. Ein objektiveres Vergleichskriterium wären die Zuwendungen an das UNHCR pro Kopf der eigenen Bevölkerung: Bonn überwies nach diesem Kriterium 1990 gerade einmal 45 US-Cent nach Genf, Washington 46 Cent, Norwegen hingegen 9,53 Dollar und Schweden 6,87.

Das eingeschränkte politische Mandat erlaubt dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen die Präsenz in einem Konfliktgebiet nur bei Zustimmung der Konfliktparteien. Diese eingeschränkte Handlungsfreiheit hat in vielen Fällen ein früh- und rechtzeitiges Eingreifen zur Versorgung von Kriegsopfern mit lebenswichtigen Gütern verhindert. Doch selbst dann, wenn die Zustimmung der Konfliktparteien vorliegt, wird die Arbeit der humanitären Organisationen de facto oftmals behindert — wie jetzt in Ex-Jugoslawien durch bürokratische Schikanen lokaler Behörden oder gar durch den Beschuß von Hilfskonvois.

Im aktuellen Fall kommt noch eine weitere Erschwernis hinzu, auf die Flüchtlingshochkommissarin Sadako Ogato gestern vor der Genfer Konferenz hinwies: Die Flüchtlinge innerhalb wie außerhalb Ex-Jugoslawiens sind nicht das „zufällige“ Nebenprodukt einer militärischen Auseinandersetzung, sondern Ergebnis einer gezielt auf Vertreibung und „ethnische Säuberung“ ganzer Teilrepubliken ausgerichteten Kriegsstrategie. Damit aber sind die drei Grundprinzipien der UNHCR-Arbeit in Frage gestellt, nämlich „Schutz“ von Flüchtlingen, ihre „Unterstützung“ am jeweiligen Fluchtort sowie ihre „Rückführung“ in die Heimat auf Basis einer politischen Konfliktlösung. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Szenarios, das war die eigentliche Botschaft in Ogatas Rede, kann der UNHCR in Ex- Jugoslawien eigentlich nur „versagen“. Es sei denn, es kommt zu einer politischen Lösung, die auch die De- facto-Verschiebung der Grenzen durch militärische Gebietsgewinne und „ethnische Säuberung“ wieder rückgängig und damit eine Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat möglich macht. Andreas Zumach

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