: Kapitänsbilder sind Porträts von Schiffen
■ Dr.Jürgen Meyer ist Experte für Bilder, die Kapitäne von ihren Schiffen malen ließen / „Marianne“ vor Vesuv oder Dover
hier der alte Herr
Dr.Jürgen Meyer,
Schiffsporträt-Kenner
„Mein Vater, die Familie meiner Mutter, das waren ja alles Seeleute. Ich bin ein echter Kapitänssohn. Bei uns wurde von nichts anderem geredet als von der Seefahrt. Ich saß in der Küche und wollte dazugehören und haßte es, wenn meine Mutter mich immer so früh ins Bett schickte.“
Inzwischen ist der Bremer Dr.Jürgen Meyer über 70 Jahre alt und lebt allein in seinem Haus in Lesum, allein mit einem umfassenden Archiv über große und kleine Segelschiffe, die von seiner Vätergeneration und viel früher gefahren worden sind. Viele tausend Photos von Schiffsbildern hat er akribisch und in lebenslanger Arbeit zusammengetragen.
Jürgen Meyer, früherer Leiter der Schiffahrtsabteilung im Museum für Hamburgische Geschichte, ist nämlich einer der wenigen international anerkannten Experten für sogenannte Schiffportraits. „Manche Leute sagen Kapitänsbilder dazu. Das macht mich richtig wütend. Weder sind Käpitäne drauf abgebildet, noch haben die Kapitäne ihre Schiffe gemalt. Schiffsportraits sind Portraits von Schiffen.“
Seit dem 18. Jahrhundert, mit der Ausweitung der internationalen Segelschiffahrt, saßen in den Häfen der großen Seefahrernationen spezielle Maler, bei denen die Kapitäne ein Portrait ihres Schiffes in Auftrag gaben. Schön sollte es sein, das Schiff, ob dreimastige Schonerbrigg, ob kleinste Yacht, so schön, wie das Schiff in den Augen von Kapitän, Mannschaft und Reeder war. Die Breitseite zum Betrachter, alle Segel gesetzt, mit frischem Wind von achtern, das ist die typische Positur. Im Hintergrund manchmal markante Merkmale der Küstenlandschaft angelaufener Hafenstädte, der Vesuv zum Beispiel oder die Felsen von Dover.
Die Mittelmeerbilder, meistens Aquarelle, waren wegen ihrer „hübschen, feinen Farben“, wie Jürgen Meyer mit gerührter Stimme sagt, besonders beliebt. In Italien gab es ganze Maler-Dynastien, Familien, die das Wissen ihrer Maltechnik sorgfältig hüteten. Bilder der Marsailler Familie Roux mußte sich ein Kapitän schon damals etwas kosten lassen. Heute haben sie einen Sammlerpreis von mindestens 20.000 Mark.
Aber auch in chinesischen Häfen saßen chinesische Maler, die Teeclipper nach europäischer Manier portraitierten. Ihre Bilder erkennt man — die Ölfarben waren minderwertig — an den vielen Rissen in der Oberfläche und an den besonders geschnitzten Rahmen.
Sehr viele Maler arbeiteten in norddeutschen Hafenstädten und auf den dänischen Inseln. Obwohl die Portraits wegen der immergleichen Draufsicht für Laien alle sehr ähnlich sind, kann man sie doch schon mit wenig Übung an der Art, wie das Meer gemalt ist, unterscheiden. Manche malen die Wellen wie mit dem Daumen in die Farbe gedrückt, andere lassen sie in schönen Rundbögen gleiten, wieder andere sind Spezialisten für gekräuselte Schaumkronen.
In Bremen gab es den Schiffsportraitisten Fritz Müller, Kapitän und Maler. Er malte unter anderem 1858 die Porta Plata und machte dann noch einmal eine große Fahrt, auf der er unbekannt verschollen ist.
Anders aber als bei der als „echte Kunst“ anerkannten Marinemalerei des letzten Jahrhunderts, die bewegte Seestücke, Schiffe im Sturm und überhaupt romantische Stimmungen liebte, war für die „Volkskunst“ der Schiffportraitmalerei dokumentarische Genauigkeit gefordert, sonst wurde reklamiert. Keine Brasse (Tau zur Segelführung) durfte zu weit vorne, zu weit hinten angesetzt sein. Die Reederei-und Heimathafenwimpel mußten stimmen, ebenso die technischen Details. Um die Unverwechselbarkeit des einzelnen Schiffes zu sichern, malten die Maler schön ziselierte Unterschriften: Hamburger Bark „Marianne“, geführt durch Kapitän N.C.Ries, 1851.
Diese aus den Schiffsportraits ablesbaren Daten sind es, die Jürgen Meyer „bis zur Besessenheit“ faszinieren. Aus ihnen läßt sich, mit Hilfe von alten Registerbüchern der Reederein, die „Biographie“ eines Schiffes, seine Fahrten, seine Lasten, seine Mannschaft, seine wechselnden Besitzer und - oft genug — sein Untergang rekonstruieren.
„Ich bin aber noch viel weiter gegangen“, sagt Jürgen Meyer, „in Hamburg/Blankenese hab ich an jeder Haustür geklopft, ebenso in Papenburg. In jeder Schifferfamilie habe ich Informationen über die Schicksale der Angehörigen gesammelt.“
Das Stöbern in alten Archiven, in Briefwechseln und Zeitungsartikeln kam hinzu, und so hat Jürgen Meyer in den 60er Jahren mit seinem ersten großen Katalog der Schiffportraits dazu beigetragen, daß nicht nur eine Veröffentlichung die andere nach sich zog, sondern die Schiffportraits einen wahren Boom in der Kunst- und Sammlerszene erlebten.
Antiquitätenhändler fuhren durchs ganze Land und suchten auf Dachböden und in Trödelläden. Die Preise stiegen von kaum hundert Mark in die tausende und zehntausende. Inzwischen ist der Markt leergefegt. Nur aus Mecklenburg/Vorpommern sind seit der Öffnung der Grenze noch Überraschungen zu erwarten. Die Sammler bilden eine kleine eingeschworene Gemeinde: „Ich kenne sie alle!“ sagt Jürgen Meyer, „es gibt ja nur wenige tausend Bilder auf der Welt.“
„In Blankenese habe ich an jede Haustür geklopft.“
An den Wänden in Jürgen Meyers kleinem Haus allerdings ist kein einziges Schiffsportrait zu sehen. „Ich bin alt. Meine Kinder kennen sich nicht aus. Die hätten meine Sammlung doch nur unter Preis verschleudert. Da hab' ich sie lieber selbst alle verkauft....“
Nur im Wohnzimmer hängt ein riesengroßes gerahmtes Photo: ein Dreimaster mit Mannschaft. Hundert Jahre alt. Fast so alt wie das Photographieren selbst, das die Zeit der gemalten Schiffportraits beendet hat.
Cornelia Kurth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen