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EINE LEICHE HAT VIELE FREUNDE Von Ralf Sotscheck

Wer in Irland stirbt, kommt schnurstracks in den Himmel — es sei denn, der Tote war Atheist oder gar Protestant. Fährt jedoch ein gläubiger Katholik hohen Alters in die Kiste, so hält sich die Trauer in Grenzen. Schließlich hätte ihm ja kaum etwas Besseres passieren können. So wird bei der Beerdigungsfeier ausgiebig getafelt, viel getrunken und manchmal auch gesungen. Ähnlich wie bei Hochzeiten kommt bei dieser Gelegenheit der gesamte Familienclan zusammen — und nicht nur der: Es gibt Leute, die jeden morgen die Todesanzeigen in der Tagespresse studieren und sich die lukrativsten Begräbnisse vormerken, um ein kostenloses Essen samt Vollrausch abzustauben.

Die Standardantwort auf die vorsichtige Frage nach dem Verhältnis zum Verstorbenen lautet: „Ein Freund der Leiche.“ Wer will ihnen schon das Gegenteil beweisen? Doch es sind nicht nur die Mitesser, die gewissenhaft den Anzeigenteil nach Todesmeldungen durchsuchen, sondern auch die Politiker. Mit der Reverenz an die Toten fängt man nämlich die Stimmen der Lebenden. Ob Minister, kleiner Hinterbänkler oder Parteiarbeiter mit Ambitionen — niemand läßt sich diese subtile Form des Wahlkampfs entgehen. Besonders günstig ist es, wenn man den Sarg ein Stückchen tragen darf; noch günstiger, wenn in diesem Augenblick Pressefotos gemacht werden.

Manche bringen es gar zu Oscar- verdächtigen Auftritten. Der ehemalige Justizminister Sean Doherty tauchte immer erst dann mit schwarzem Anzug und ebensolcher Miene auf, wenn die Trauergemeinde bereits vollständig versammelt war und niemandem seine Ankunft entgehen konnte. Anfang des Jahres brachte der trauergestählte Doherty den langjährigen Premierminister Charley Haughey mit der Enthüllung einer Telefonabhöraffäre zu Fall und den Countrysänger Albert Reynolds an die Macht. Reynolds hatte vom morbiden Doherty gelernt: Zwischen Haugheys Sturz und der Wahl seines Nachfolgers kam im ganzen Land kein Mensch unter die Erde, ohne daß Reynolds oder einer seiner Wahlhelfer dabei waren.

Politik und Religion liegen in Irland dicht beisammen. Kein Wunder, daß es jetzt einen Aufschrei gab, als ein — vermutlich protestantischer — Abgeordneter den Antrag einbrachte, die Parlamentsferien zu verkürzen. „Dann könnte ich ja nicht mehr so oft auf Beerdigungen gehen und würde meinen Sitz verlieren“, jammerte ein Parlamentarier von der Westküste. Es ist keineswegs ein Zufall, daß der ehemalige Außenminister Gerry Collins nicht nur zu den Abgeordneten mit dem höchsten Stimmanteil, sondern auch zu den häufigsten Gästen bei Trauerfeiern gehört. Sein Terminplan erweckt den Eindruck, als sei ihm auf einen Schlag die ganze Verwandtschaft weggestorben. An einem typischen Tag schafft er drei Begräbnisse noch vor dem Mittagessen. Parteikollegen behaupten, daß sich der Kondolenzweltmeister selbst während des Urlaubs in Spanien die irischen Traueranzeigen am Telefon vorlesen ließ und danach entschied, welche Leiche mit einem Kranz beglückt werden sollte, oder wer mit einem Trauer- Telegramm Vorlieb nehmen mußte.

Zwei Mitglieder der rechten Fraktion bevorzugen dagegen die Billigversion: Sie scheuten die Kosten für ein Blumengebinde und tauchten erst nach der Totenfeier für einen bekannten Dubliner Rechtsanwalt auf — jedoch noch rechtzeitig für die Pressefotos.

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