Geständnis nicht verwertbar?

■ Rätsel im Mordprozeß gegen Seemann / Schuld der Schwester auf sich genommen?

gegen Seemann / Schuld der Schwester auf sich genommen?

Bahnt sich überraschend eine Wende im Mordprozeß gegen den Seemann Christian St. an? Nach Auffassung seiner Anwältin Martina Zerling ist das Geständnis des 26jährigen Matrosen, das er Wochen später widerrufen hat, nicht zu verwerten. Der Angeklagte habe bei seiner Vernehmung unter akuten Alkohol-Entzugserscheinungen gelitten, dies bestätigte gestern der Gefängnisarzt. Außerdem hatte er nach eigenen Angaben 37 Stunden lang nicht geschlafen.

Die Hintergründe des Mordes an dem 78jährigen Mann, der am 31. Januar in Wilhelmsburg erstochen aufgefunden wurde, bleiben dubios: Sicher scheint nur, daß der Angeklagte den Toten in seinem Sessel gesehen hat. Was sich aber tatsächlich zuvor ereignet hatte, ist unklar. Ihrer Mutter und einem Freund sollen Christian St. und seine Schwester Rebecca anvertraut haben, daß die 19jährige am Vorabend bei „Opa Buhr“ gewesen sei. Der, so erklärte gestern ein Zeuge vor dem Landgericht, habe ihr „irgendwie an die Wäsche gewollt“.

Da Rebecca schon einmal vergewaltigt worden war, könnte es zu einer Kurzschlußhandlung gegenüber dem gebrechlichen Rentner gekommen sein — zumindest könnte Christian St. das geglaubt haben. Und um Rebecca und ihrem dreijährigen Sohn eine Haftstrafe bzw. einen Heimaufenthalt zu ersparen, wäre es möglich, daß er die Schuld auf sich genommen hat.

Fest steht jedenfalls, daß er am Abend des 1. Februar gestanden hat, den 78jährigen wegen 150 Mark erstochen zu haben. Doch das angeblich weggeworfene Messer wurde von der Polizei nie gefunden. Während Rebecca schweigt, wird ihre Mutter vielleicht am Freitag eine Aussage vor Gericht machen. Rechtsanwältin Martina Zerling: „Viele hatten einen Schlüssel zur Wohnung. Es gibt nichts weiteres als das Geständnis meines Mandanten.“ Dessen Gültigkeit ist aber sowieso fraglich: Der Bundesgerichtshof hat in zwei Grundsatzurteilen verfügt, daß Geständnisse, die nach mehr als 30 Stunden Schlaflosigkeit gemacht werden, nicht verwertbar sind. Peter Müller