piwik no script img

Auch im Regen der Sonne entgegen

■ Ob als Firmenwagen, Mietauto oder Privatgefährt: Immer mehr Wind- und Solarautos schnurren abgasfrei durch Hamburgs Straßen

schnurren abgasfrei durch Hamburgs Straßen

Wie eine Auster wird das knallrote Solarmobil aus Dänemark zum Ein- und Ausstieg aufgeklappt. Jürgen Strauch, auf den das Vehikel zugelassen ist, das aussieht, als hätte man Schneewittchens Sarg auf drei Räder montiert, gurtet mich an. Ich bin unsicher, ob ich am „mini-el“ festgeschnallt werde oder es an mir. Das Fahrzeug bringt gerade 265 Kilo auf die Waage, ein Viertel eines gängigen Kleinwagens. Nur zwei Pedale vor meinen Füßen, eines zum Gasgeben, eines zum Bremsen. Eine Drehung des Zündschlüssels, schon ist der Kontakt zwischen Batterie und Elektromotor hergestellt; ein leichter Druck aufs Pedal, und der Sonnenflitzer schnurrt los.

Dabei wandelt der Motor über 70 Prozent der gespeicherten Energie in Fahrleistung um. Herkömmliche Verbrennungsmotoren schaffen nicht einmal ein Drittel — der Rest verpufft. Ein Tritt auf die Bremse, der Wagen kommt zum Stillstand. Aus der Bewegungsenergie wird wieder Strom, den die Batterien speichern. Die Auster öffnet sich, meine Jungfernfahrt in dem Solar- Auto, von dem auf Dänemarks Straßen bereits 2000 Exemplare fahren, ist zu Ende. Das kleine Fahrzeug ist das erste E-Mobil, das im Frühjahr 1989 in der Hansestadt durch das Dickicht der Zulassungsbestimmungen bugsiert werden konnte.

Für Solarmobil-Pionier Jürgen Strauch damals eine nervenaufreibende Odyssee: der gelernte Kfz- Mechaniker mußte ein 1000 Mark teures Gutachten über die Splittereigenschaften und das Feuerverhalten seines Sonnengefährts anfertigen lassen und weitere 4000 Mark für ein Dutzend Änderungen auf den Tisch blättern, bevor er die begehrte Plakette erhielt. Inzwischen bietet der dänische Hersteller Eltrans mit dem „mini-el-city“ eine etwa 12000 Mark teure Exportversion für den deutschen Markt an, die den Zulassungs-Parcours problemlos bewältigt.

Wer einmal das Fahrgefühl in einem leise dahinschnurrenden E-Mobil ausprobieren möchte, kann sich bald an den Altonaer mini-el-Vertragshändler Nils Benecke wenden. Er will noch im kommen-

1den Frühjahr den ersten Hamburger E-Mobil-Verleih aufmachen. Jeder Führerscheinbesitzer kann dann für gut 50 Mark pro Tag einen der kleinen Stromer mieten. Daneben will Benecke auch für rund 80 Mark den zweisitzigen El-Jet verleihen, der es immerhin auf eine Spitzengeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern bringt.

Wer ein Elektromobil nicht nur leihen, sondern gleich kaufen will, sollte sich beeilen: Noch bis Ende dieses Jahres sponsert die Umweltbehörde den Erwerb eines Ökomobils mit 4500 Mark pro Sitzplatz; bis zur Höchstgrenze von 13500 Mark pro Auto. Einzige Voraussetzung: Der Fahrtstrom muß aus Solarzellen oder einer Windkraftanlage stammen. Da Solaranlagen teuer und die staatlichen Zuschüsse für sie bereits bis Ende 1993 aufgebraucht sind, ist der Kauf eines Anteils an einer Windstromanlage die billigste und praktikabelste Lösung.

Pro Sitzplatz muß der Elektromobilbesitzer einen Anteil im Wert von 1500 Mark bei der Windstrom Wedel GmbH erwerben, um in den Genuß der staatlichen Förderung zu kommen. Das Unternehmen errichtete im November 1989 sein erstes Windrad bei Brokdorf; zwei weitere am Yachthafen Wedel und in Schashagen an der Ostsee folgten 1990. Mit den jetzt gezeichneten Anteilen soll noch in diesem Jahr in Drochtersen bei Stade das bislang größte Windkraftwerk der Wedeler Öko-Gesellschaft entstehen.

1Damit die Elektrogefährte unterwegs tanken können, will Lutz Jahn, in der Umweltbehörde für die Umsetzung von solaren Förderprogrammen verantwortlich, in den kommenden Jahren weitere Solartankstellen in der Hansestadt errichten. Die erste Sonnenstrom- Zapfsäule wurde bereits Ende Juli im Parkhaus Hanseviertel an der Hohe Bleichen eingeweiht. Während des Einkaufsbummels fließt in das auf einem der beiden reservierten Stellplätze geparkte E-Mobil kostenlos Sonnenstrom.

Ein weiter ausgebauter Park & Tank-Service dürfte sich schnell wachsender Beliebtheit erfreuen, denn der Run auf die Öko-Mobile ist groß: In dem 740000-Mark- Topf, welcher der Umweltbehörde zwischen 1990 und 1992 zur Förderung von Solarfahrzeugen zur Verfügung steht, befinden sich nur noch rund 100000 Mark. Mit über 600000 Mark bezuschußte die Umweltbehörde neben zehn Solar-Mofas bereits 70 Hamburger, die von der Benzinkutsche aufs E-Mobil umstiegen.

Einer von ihnen ist Arnold Neumann. Dem Inhaber der Hamburger Großbäckerei Oertel verriet sein Taschenrechner, daß er seine morgendlichen Auslieferungsfahrten, bei denen nie mehr als 80 Kilometer zusammenkommen, mit einem Elektroauto am billigsten bewältigen könnte. Ein zweisitziges E-Mobil würde auf 100 Innenstadtkilometern für nur knapp 2 Mark Strom verbrauchen. Die Rechnung

1ging auf: Für 27000 Mark kaufte der Bäckermeister einen schneeweißen „microcar“ der Bad Rappenauer Firma ATW, weitere 3000 Mark brachte er für den Anteil an einer Windkraftanlage auf. 9000 Mark steuerte die Umweltbehörde zum Autokauf bei. Seit gut zwei Jahren rollen nun die Oertel-Brötchen abgasfrei zum Frühstückskunden. Doch auch für weitere Strecken ist der Microcar gut: Auf der Hanse-Solarrallye von Hamburg nach Berlin belegten die Bäcker im vorvergangenen Jahr auf Anhieb den ersten Platz in der Kategorie „Serien-Fahrzeuge“.

Sven Koschik hingegen nutzt sein Sonnengefährt ausschließlich privat. Denn „als Streifenwagen sind die Dinger noch nicht zugelassen“, weiß der 24jährige Polizist, der 1991 von der berühmten Davidwache zur Revierwache 38 in Rahlstedt wechselte. Im Gegensatz zu anderen E-Mobil-Besitzern verzichtet der Beamte auf einen benzinfressenden Zweitwagen, erledigt sämtliche Fahrten mit seinem Elektro-Cabriolet. Obwohl der „mini- el-city“ problemlos 50 km/h schafft, hat sich Koschik die leistungsschwächere Version angeschafft, die kaum mehr als 40 Kilometer pro Stunde fährt. Auch mit ihr könne er im Stadtverkehr „problemlos mitfließen“. Außerdem, flachst der in Barmbek lebende Polizist, „verfange ich mich damit nicht in einer Radarfalle meiner Kollegen“.

Marco Carini

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen