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Sadomasochistische Romantik

Ingrid Puganiggs böse Prosa „Hochzeit. Ein Fall“  ■ Von Esther Röhr

Am 14.März 1990 tötete der Gymnasiallehrer Rudolph Hofreiter seine Ehefrau, die Pediküre Sonja Hofreiter, geborene Auer. Oder? Er tötete sie jedenfalls vielleicht — vielleicht aber auch nicht. Ingrid Puganiggs neue Prosa „Hochzeit. Ein Fall“ erteilt der Story eine Absage, wie sie kühner kaum vorstellbar ist. Daß „alles“ auch „anders sein könnte“, ist der FaktorX ihres Buches, ihr Thema ist die Fiktion der Fiktion, die Macht und die Ohnmacht der Wörter.

„Wie weit wir mit Wörtern gehen können“ — das auszuforschen ist die erklärte Absicht des Paares Hofreiter, eines Liebespaares, das sich der „Maßlosigkeit“ verschreibt, dem Weiter-und-noch-weiter-Gehen unter Mißachtung jeglicher Grenze. „Die Grenzen“ aber sind die der Schriftsteller und heißen „Bildschirm oder DINA4“. „Hochzeit. Ein Fall“ ist so das Dokument einer subtilen Selbstinszenierung, die sich im Nichts verliert: „Ich habe alles erfunden“, offenbart die Protagonistin, und Rudolph Hofreiter bleibt nichts, als zu ihrem Echo — und Mörder — zu werden. „Meine Frau hatte sich mittels Sprache aufgehoben.“

„Nichts als Sprache“ ist dieses Buch, „allein durch Sprache“ geschieht, was geschieht — und was, wie gesagt, vielleicht auch nicht geschieht. Rudolph und Sonja kommunizieren mit Hilfe von Tonbandkassetten, die sie einander zukommen lassen, größtenteils sorgfältig datiert, doch nicht immer in Übereinstimmung mit dem Kalender. Auch sind Passagen gelöscht, andere nachträglich eingefügt. Wer spricht und „wann was war“, ist mitunter nicht zu entschlüsseln — lückenlos selbst nicht von den Hofreiters, die Stunden und Tage vor dem Aufnahmegerät verbringen. Um so mehr sind ihre „diskreten Orgien“ dem „Kalkül“ gewidmet, einer Komplizenschaft, die „auf die Spitze getrieben“ sein will, und also hintertrieben werden muß: „Wird das ein Fest! Madame! Lassen Sie uns lieben, wie man foltert.“

„Madame“ und „Monsieur“ meiden das Du, sie meiden den eigentlichen Dialog und, vor allem, „Verständigung“: „Ich höre nicht zu.“ Das stählerne Paradoxon, die Amphibolie, die nicht mehr deutbare Andeutung: In kühl-artifiziellen Arrangements sucht das Wort den Adressaten zu treffen, indem es ihn scharf verfehlt. „Was meinen Sie, Monsieur?“ „Nichts bestimmtes, Madame.“ „Nichts bestimmtes“ und „nichts von Bedeutung“ transportieren jene Wörter, die sich ganz vergeblich bemühen, widerzuspiegeln, „was mit uns ist“, und in einen „Text“ ausweichen, unrettbar verloren für die Liebe, die nur auf eine Weise — und somit gar nicht — „funktioniert“: „wortlos“.

„Wie gefährlich Texte sein können“, ist Sonja und Rudolph Hofreiter grausige Gewißheit, süßes Versprechen und Motor ihrer Obsession. „Ich stehe auf Ihre Stimme, Madame.“ Ihr dämonisches Experiment beschränkt sich auf die akustische Reproduzierbarkeit der Wörter, dennoch wird auch geschrieben: Sonja Hofreiter entwendet ihrem Mann Schreibblöcke und Bleistifte, sie bricht in seine PC-Dateien ein. Ihre Sprache ist eine „unendliche Korrektur“, ein letztgültiges Spiel mit höchstem Einsatz, ein Kampf um die „Definition“. Definiert werden soll, „was jenseits der Wörter ist“. Doch selbst das Schweigen ist noch ein Wort.

Rudolph Hofreiter und Sonja Auer, beide 26 Jahre alt, beide aus Wien stammend, lernen sich auf einem Flug von London nach Zürich kennen. Daß seine Platznachbarin statt der Financial Times ein Buch liest, das er auch gelesen hat, weckt das Interesse Hofreiters. Er läßt Sonja Auer für 500 Schilling pro Stunde beobachten, er beobachtet sie selbst, am 29.Oktober 1987 vergewaltigt er sie. („Was jenseits der Wörter ist, Madame? Der Körper jedenfalls nicht.“) Wenig mehr als zwei Monate später antwortet Sonja Auer „unter Kennwort“ auf ein Inserat. In einem Lindauer Kaffeehaus trifft sie auf ihren Vergewaltiger, der ihr vom Flug London-Zürich und seit kurzem auch anderweitig bekannt ist: Hofreiter wohnt ihr jetzt vis-à-vis. Eine Anzeige hat sie nicht erstattet, „verlegen“ stehen Sonja Auer und Rudolph Hofreiter voreinander. — „Ich will Ihren Namen“: Am 20.Mai 1988 heiratet Sonja Auer Hofreiter — einen Mann, der sich als Gott ausweist. „Ich bin, der ich bin, Madame“: Im Jahwe abgelauschten Bilderverbot kündigt sich das lustvolle Scheitern jeglichen Versuches an, eines Gegenübers habhaft zu werden, dessen chiffrierte Botschaften sich selbst aufs feinste konterkarieren und dessen Drohungen Lockrufe sind. „Madame, paß auf, ich bin kein Gott!“ Ingrid Puganigg hat ihren schon in „Laila“ (1988) brillanten Boykott semantischer Gradlinigkeit in „Hochzeit. Ein Fall“ fortgeführt. Kaum ein Satz, der kein Abgrund ist, kaum je ein Wort, das nicht tiefer fällt, als sein Höhenflug ihm erlaubt, Literatur ist schließlich „unterlassene Hilfeleistung“.

Wie in „Laila“ ist eine kleine, grausame Liebesgeschichte auch in „Hochzeit. Ein Fall“ eine schillernde Folie, hinter der eine allerorten perfekt organisierte Brutalität ihre Fratzen schneidet. „Über allen Gipfeln liegt Geld!“ Sonja Hofreiter arbeitet nur noch halbtags im Fußpflegesalon und verkauft den Nachlaß ihrer Tante. Das Geld, die Macht, die Lüge sind das Triumvirat des Desasters, das allein in erotischen Ritualen momentweise zu betören ist: „Herr, jeder hat seine Ecke, vor der er es kniend treibt.“

Die Liebe, der Tod, die Gier, der Schmerz: es ist eine sadomasochistische Romantik geradezu klassischen Zuschnitts, auf die Ingrid Puganigg zurückgreift, um den Worten selbst Wunden zu schlagen, seien es auch die „verbotenen“, diejenigen, die man Haut an Haut sagt. „Salz in der Puderdose“ — heilen soll und kann nichts. In ihrer äußersten Verknappung verrät sich Sprache als Simulation. „Madame, dieser Tag! Sehen Sie nur! Dazu Schwan, Berg, See. Die Fische im Wasser. Versilberte Besteckteile.“ Einer zynischen Geste gleicht Ingrid Puganiggs Poesie, ein Hohn auf die geschliffene Ästhetik ihres „Textes“, auf DINA4 oder, was wahrscheinlicher ist, an einem PC entstanden. „While keypressed do menuewahl.“

Am Rand eines Bildschirms nämlich „verschwinden“ Sonja und Rudolph Hofreiter, „Konfigurationen“ wie alle Liebespaare. „RETURN TO ESCAPE!“: Natürlich schmäht Ingrid Puganigg nicht nur die Produktion, sondern mit ihr auch den Markt der Wörter. Sonja Hofreiter besucht 1988, im Erscheinungsjahr von „Laila“, die Frankfurter Buchmesse. Doch während dort Fernsehjournalisten in dargebotene Bücher beißen, ist „Hochzeit. Ein Fall“ ein Buch, das sich selbst verschlingt, ein böses Bravourstück verweigerter Zusagen an die Sprache, sprachmächtig im höchsten Grade. „Lügen Sie. Aber lügen Sie gut.“

Ingrid Puganigg: „Hochzeit. Ein Fall“. Suhrkamp, 1992. 152Seiten, 28DM

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