: Maueropfer wollen ihre Grundstücke zurück
■ Protest der ehemaligen Grundstückbesitzer auf dem Mauerstreifen in Berlin-Wedding
Berlin (taz) — „Die Mauer ist weg — die Opfer bleiben“ steht auf dem Transparent. Im Nieselregen drängt sich ein Häuflein Menschen um Stellwände mit Fotos, die den Häuserabriß an der Bernauer Straße beim Mauerbau 1961 zeigen. Die 71 Mitglieder der „Interessengemeinschaft ehemaliger Grundstücksbesitzer auf dem Mauerstreifen Berlin“ fühlen sich als die ersten Opfer der Mauer. Zum 31. Jahrestag des Mauerbaus veranstalteten sie gestern einen Aktionstag in Wedding.
„Uns ist zweimal Unrecht geschehen“, erklärt Gitta Kurpjun, die den Verein vor einem halben Jahr mitgegründet hat. Ihr vier Quadratkilometer großes Grundstück an der Grenze zwischen Treptow und Neukölln wurde 1984 enteignet, als die DDR die Sicherheitszone an dieser Stelle ausweiten wollte. „Die Mauer war das schlimmste Bauwerk der Nachkriegszeit, und jetzt wird es praktisch doch juristisch anerkannt“, beschwert sich die Hausfrau. Curt Horst Niemann, Vorsitzender der Interessengemeinschaft, stimmt ihr zu: „Wir sind unter DDR-Recht enteignet worden. Die Bundesrepublik hat das jahrzehntelang als Unrecht bezeichnet, und heute soll dieser Zustand auf einmal akzeptiert werden.“
120.000 Grundstücke entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze — eines Streifens von 155 Kilometern Länge — gingen nach dem Einigungsvertrag in das Vermögen des Bundes über. Ihr Marktwert wird auf zwischen 40 und 100 Milliarden Mark geschätzt. Anträge auf Rückübertragung wurden bisher vom Amt zur Regelung offener Vermögensfragen abgelehnt, da die Enteignungen auf der Basis des DDR-Verteidigungsgesetzes erfolgt sind. Dieses soll nach dem Einigungsvertrag jedoch nicht angetastet werden.
Momentan liegt dem Bundesrat ein Gesetzentwurf des Berliner Senats über die Rückgabe von Grundstücken auf dem ehemaligen Todesstreifen vor. Die „Interessengemeinschaft ehemaliger Grundstücksbesitzer“ zweifelt jedoch an den Erfolgsaussichten des Entwurfs.
Einer Rückgabe der Grundstücke — 43 Kilometer liegen im investitionsträchtigen Bereich zwischen Ost- und West-Berlin — stünden zu massive finanzielle Interessen entgegen, meint Curt Horst Niemann, „besonders, weil Berlin jetzt Hauptstadt ist“. Einige Mitglieder der Interessengemeinschaft würden jedoch gerade eine Klage gegen die Bundesrepublik vorbereiten und seien bereit, bis vors Bundesverfassungsgericht zu gehen.
DIe wenigen Passanten, die sich für den Informationsstand an der Bernauer Straße interessieren, sehen die Erfolgschancen der Enteigneten eher skeptisch. „Das kommt zu spät, das hätte gleich beim Mauerfall passieren müssen“, meint der 68jährige Fritz Busse. „Jetzt wartet der Staat, bis die alten Eigentümer den Löffel abgegeben haben.“ mh
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