"Für diese Stadt viel zu wichtig"

■ Norbert Aust, Vorstandsvorsitzender des Trägervereins von Kampnagel, zu Problemen der Kulturfabrik

Ende vorletzter Woche veröffentlichte das NDR-Abendjournal Auszüge aus Vorstandsprotokollen des Trägervereins von Kampnagel. In diesem Zusammenhang wurde dem Vorstand vorgeworfen, letztes Jahr die wahre Höhe des Kampnagel- Defizits verschwiegen zu haben und mit unlauteren Mitteln die Kündigungen der Intendanten Wolfram Kremer und Hans Man int Veld betrieben zu haben. Anläßlich dieses vermeintlichen Kampnagelgates sprachen wir mit Vorstandsvorsitzendem Norbert Aust über Vergangenheit und Zukunft der Internationalen Kulturfabrik.

Was ist an der Behauptung dran, daß der Vorstand des Trägervereins und die Geschäftsführer von Kampnagel letztes Jahr ihr Defizit geschönt haben.

Der Vorstand hat nichts geschönt. Als klar war, daß das Brook-Gastspiel, die neue Tribüne und die neuen Stühle, ein Defizit ergeben würde, hat derVorstand gesagt, „Soviel wie geplant, dürft ihr jetzt nicht weiter ausgeben.“ Das war aber auf der Basis einer Einschätzung, wo man am Ende des Jahres stehen wird. Der Vorstand hat der Geschäftsführung Einsparungsvorschläge gemacht, damit es am Jahresende kein Defizit gibt. Herr Kilzer von der Kulturbehörde hatte im Juli des letzten Jahres einen Brief geschrieben, er befürchte, daß Kampnagel am Jahresende mit ca. 600.000 Mark Defizit dastehen würde. Wobei er allerdings keine Einnahmen mehr eingesetzt hat, und wir noch Einnahmen eingesetzt haben. Wir haben damals gesagt, ok, das Defizit vom Brook-Gastspiel tragen wir alle mit, aber dazu haben wir den Geschäftsführern gesagt: Über dieses Defizit hinaus müßt ihr so wirtschaften, daß es kein Minus mehr gibt. Wir haben auch schon ganz klar gesagt, was sie dürfen und was sie nicht dürfen. Aber das konnte man immer nur auf Basis von Hochrechnungen sagen.

Aber eine vernünftige Buchhaltung müßte doch eigentlich jederzeit eine ungefähre Einschätzung davon geben könnne, wie es mit dem Unternehmen steht?

Richtig. Wenn du im September siehst, daß das hochgerechnete Ergebnis schlecht ist, dann mußt du sofort anfangen noch zu sparen und nichts mehr auszugeben. Genau das haben wir versucht und genau das ergibt sich auch aus den Protokollen.

Und warum wurde dann nicht gespart?

Die Überraschung war als Ende November noch nicht der Abschluß von Oktober vorgelegt werden konnte. Und wir dann gesehen haben, daß wir in ein höheres Defizit reinlaufen. Als dann am 9. Dezember immer noch kein Abschluß von Oktober vorlag, haben wir gesagt, jetzt müssen wir die Rechnungsprüfer holen. Und die Rechnungsprüfer haben dann ja innerhalb von zwei Tagen festgestellt, daß das Defizit noch höher ist.

Wie hoch ist das Defizit genau?

Es sind etwas über 950.000 Mark.

Es war doch schon Mitte letzten Jahres ein offenes Geheimnis, daß Wolfram Kremer von der kaufmännischen Leitung überfordert gewesen ist. Warum hat man da nicht früher gehandelt?

Ja! Das ist natürlich ein Problem. Solche Entscheidungen, ob jemand gut oder schlecht ist, das ist ja nicht eine Erkenntnis, die man vom einen zum anderen Tag gewinnt. Schon klar ist, daß es im Herbst, weil die Zahlen nicht stimmten und zu spät kamen, Zweifel an seiner kaufmännisch-organisatorischen Fähigkeit gab. Diese wurde natürlich immer fester. In der Sitzung am 17. Dezember haben die beiden dann ja auch ihren Rücktritt erklärt. Im Beisein auch der Rechnungsprüfer haben sie gesagt: Unter den Bedingungen können wir nicht weiterarbeiten. Von uns wird verlangt: Viele Zuschauer, anspruchsvolles Programm und Geld gibt man uns aber nicht. Man hätte jetzt natürlich damals darüber nachdenken können: stellt man jetzt einen Neuen ein, aber dafür fehlte natürlich das Geld.

Wolfram Kremer hat mir versichert, daß man ihm und Hans von Seiten des Vorstandes zu dem Kündigungsschreiben geraten habe, um es nur intern als Druckmittel gegen die Kulturbehörde zu verwenden. Er habe nie damit gerechnet, daß es angenommen wird.

Ich glaube, dann erkennt er immer noch nicht, daß er eigentlich nicht dazu in der Lage war, denn das würde ja bedeuten, daß er garnicht versteht, warum er zurücktreten mußte. Für uns war klar, daß wir uns von ihm trennen, nach diesem Ergebnis, verantwortlich zu sein für fast eine Million Defizit in einem Jahr. Er hatte am 17. Dezember seinen Rücktritt eingereicht, am 7. Januar haben wir gesagt: Ja! und erst am 21. Januar hat er den Brief geschrieben, wo er gesagt hat: Eigentlich habe ich das garnicht ernst gemeint. Also angenommen, man hätte ihn in der Sitzung überfahren, dann hätte er spätestens als wir gesagt haben, wir nehmen deinen Rücktritt an, sagen müssen: Hört mal Leute, ich will eigentlich garnicht.

Ist es denn richtig, daß Kremer 35.000 Mark Abfindung erhalten hat?

Es ist richtig, daß er eine Abfindung gekriegt hat, da er in seinem Vertrag einen Anspruch hatte, auf eine Regie pro Jahr. Das war jeweils circa 15.000 Mark und dann haben wir gesagt, ok, dann kriegst du die beiden Regie-Dinger noch bezahlt und fertig ist die Sause.

Wie geht das denn jetzt in der Geschäftsführerfrage weiter?

Wenn man sagt, kein Geld für die Kunst auf Kampnagel, dann braucht man keinen künstlerischen Leiter mehr. Aber es ist natürlich wichtig, was wird jetzt eigentlich erwartet von Kampnagel? Wird erwartet, Kampnagel überwiegend als Dienstleistungszentrum, das nur Geld bekommt für die Vorhaltung der Hallen? Oder ob man sagt: Kampnagel soll auch anspruchsvolle Kunst leisten, ohne eigenes Ensemble, mit Eigenproduktionen, mit Gastspielen, wo die Freien Gruppen ihr Haus haben, wo dieses Zusammenwirken der Leute hier gefördert wird, dann wird man Geld für die Kunst ausgeben können und dann wird man auch einen entsprechenden künstlerischen Leiter finden.

Wird denn im Zusammenhang mit so einem favorisierten Konzept auch ein Kandidat gesucht? Hans möcht es ja wohl doch gerne bleiben.

Wir haben damals zu Hans gesagt, wenn du sagst, ohne Geld läßt sich das nicht machen, dann kannst auch du gehen, aber nicht sofort. Du mußt bleiben, längstens bis 30.6.93 und in der Zeit haben wir Zeit einen neuen zu suchen. Das war die Ausgangslage und die steht auch noch. Richtig ist, daß Hans im März, nachdem ihm die Senatorin so wortreich das Vertrauen ausgesprochen hat, einen Brief geschrieben hat und gesagt hat, unter bestimmten Vorraussetzungen bin ich bereit auch bis 94 zu bleiben. Da steht eine Antwort noch aus, weil wir auch zu ihm gesagt haben, wir müssen erstmal sehen, was wir noch bieten können.

Gibt es denn trotzdem Überlegungen über Alternativ-Kandidaten. Es sind ja viele Namen im Gespräch.

Ich beteilige mich erst an einer Ausseinandersetzungen über Personen, wenn man diese Stelle auch ausgeschrieben hat.

Wenn man das Defizit von knapp einer Million mal verteilt, dann bleibt auch trotz der deutlichen Etaterhöhung für 93 doch fast nichts für einen künstlerischen Etat übrig.

Natürlich nicht, das haben wir aber immer schon gesagt. Im Moment kriegen wir vier Millionen. Da ist im Prinzip nichts für die Kunst. Und ich hoffe, daß die Stadt das irgendwie sieht.

Wie ist denn das Verhältnis zu Kultursenatorin Christina Weiss nach ihren Aussagen, es gäbe eventuell „Handlungsbedarf“ im Falle Kampnagel?

Also ich halte die letzten Äußerungen, böswillig gesagt, für fast Politiker-gemäß. Die haben es immer drauf hinter dem nächsten Busch in Deckung zu gehen. Die Senatorin ist über jeden der Schritte informiert gewesen. Am 17. war diese Geschichte mit dem Rücktritt, am 18. war ich morgens bei der Senatorin, hab gesagt, hier Mädel, die beiden treten zurück, was sollen wir machen. Wenn die Senatorin gesagt hätte: Das ist ja ganz fürchterlich, da haben sie ja jetzt ein Problem. Hätte ich gesagt, ganz richtig, dann sind wir überschuldet, dann melde ich jetzt Konkurs an. Und ich habe jetzt, als die Wirtschaftsprüfer ein Vorbericht gemacht haben, noch einen Brief geschrieben und ihr mitgeteilt, jetzt ist es amtlich, der Verein ist überschuldet, jetzt muß ich Konkurs anmelden, es sei denn mein Hauptgläubiger will das nicht. Und da haben sie zurückgeschrieben, nein, ich soll das nicht.

Aber einher damit gehen doch jetzt auch sehr klare Konzeptvorstellungen der Senatorin, wie das Gelände zu führen sei.

Ganz viele Leute haben ganz tolle Ideen, wie es mit diesem Gelände vorangehen soll.

Es gibt angeblich einen Investor, der Interesse hat das Gelände zu bebauen und im Gegenzug angeboten haben soll, dafür Geld in die Hallen zu stecken.

Mich interessiert weniger, wer da baut, sondern wer Nutzer in diesen neuen Flächen ist. Erstens: Ich glaube, man kommt um eine Bebauung der Fläche an der Barmbeker Straße nicht umhin. Zweitens: Bin ich der Ansicht, das geht nur im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für das ganze Gelände. Da gibt es Interessenten und die muß man versuchen zusammenzuführen. Ich weiß, daß da jetzt Bestrebungen im Gange sind, soetwas zu machen. Ich wüßte auch einen tollen Nutzer: Die Kulturbehörde. Wo bringt den Hamburg seine Kultur unter. Auf dem Hinterhof eines Parkdecks. Und die Kulturbehörde muß da raus und da wäre das hier für die Kulturbehörde doch ideal. Wären endlich am Ort des Geschehens.

Daß um die Kampnagelhallen herum gebaut wird, das ist sicher?

Es ist im Bebaungsplan ausgewiesen, man wird es nicht verhindern können und wenn man etwas nicht verhindern kann, dann muß man versuchen, es mitzugestalten.

Warum sind im Trägerverein so realtiv wenig Leute, die direkt etwas mit dem Gelände zu tun haben, obwohl doch verschiedene davon aufgenommen werden wollten?

Dieses Gremium ist ja soetwas wie ein Aufsichtsrat. Wir haben einen Beirat eingerichtet, für die auf dem Gelände Tätigen. Die Leute können in dem Beirat dieses Gelände konstruktiv mitbestimmen. Der Verein darf nicht ein Instrument sein, in dem sich die Leute bedienen, die direkt betroffen sind.

Eine abschließende Prognose: Ist der Bestand des Geländes über 96 hinaus gefährdet?

Nein! Diese Kulturfabrik ist für die Stadt viel zu wichtig, als daß man darauf verzichten kann.

Und das wird auch gehört und verstanden?

Ich bin sicher. Daß heißt natürlich nicht, daß man nicht dauernd angemacht wird. Man muß es immer wieder, jede Sache neu erkämpfen. Ob das nun das Alabama-Kino ist oder was auch immer. Genau das aber finde ich, ist hier das Spannende. Die andere Lösung, zu sagen, wir holen jetzt einen Intendanten und der stellt sich einen Filmer ein und ein Festivalmacher und einen sonstwas, das ist Unsinn. Das würde für mich auf jeden Fall so einem selbstbestimmten Arbeiten und kreativem Entwickeln total zuwiderlaufen.