: Schuld ist die kleine Teufelin
■ Europäische Gründe, den Mythos Woody Allen zu demontieren
Schuld ist die kleine Teufelin Europäische Gründe, den Mythos Woody Allen zu demontieren
In seinem Japan-Buch hat Roland Barthes angemerkt, in Amerika sei der Sex überall, nur nicht im Sex. Laurie Anderson hat darauf hingewiesen, daß die Frage des Golfkriegs gewesen sei, ob Bush „Manns genug“ wäre, durchzuhalten. Egal wie verkommen eine Gesellschaft ist, von Hader und Krieg, Armut und Klassenhaß, Dummheit und Gier zerstört: Sex ist eine Metapher, die immer „noch“ funktioniert, der Rückgriff auf das Archaische, den kleinsten gemeinsamen Nenner, auch wenn er Leute scheidet. Amerika hat die Metapher Sex aufgeblasen wie kein anderes Land, darstellbar nur noch im Raster von Fotografie und Bildschirm. Bilderangst: Mapplethorpe; Bilderlust: Clarence Thomas vs. Anita Hill.
Jetzt ist Woody Allen dran. Nach elfeinhalb Jahren haben er und die Schauspielerin Mia Farrow sich getrennt. Verheiratet waren sie nie, aber sie hatten einen gemeinsamen Kinderclan. Dazu gehörten die leiblichen Kinder von Farrow aus ihrer Ehe mit dem Pianisten und Dirigenten Andre Previn, ein gemeinsames leibliches Kind, Satchel (4), und die gemeinsam adoptierten Kinder Moses (14), der in Korea geboren ist, und die Tochter Dylan (7). Um für diese drei Kinder das Sorgerecht zu bekommen — kein sehr aussichtsreiches Unterfangen — hat Woody Allen letzte Woche Klage eingereicht; ein gemeinsames Sorgerecht ist im Staat New York nicht vorgesehen.
In dieser Situation wurde publik gemacht, daß Allen mit der ältesten Tochter des multikulturellen Farrow-Clans, Soon-Yi, zusammensei. Allen bekannte sich zu der Verbindung mit der 21jährigen, die weder seine leibliche Tochter noch die von Farrow ist. Kaum hatte Allen Stellung genommen, schon wurde er erneut beschuldigt: Er habe die Kinder Moses und Dylan sexuell belästigt. Der Vorwurf „Moses“ wurde vom Farrow-Clan sofort fallengelassen, als klar wurde, daß die Waffe Homosexualität gegen Allen nicht einsetzbar ist. Ferner streiten sich die Parteien öffentlich um die Frage, ob Farrow versucht hat, mit dem Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs an den Kindern Allen sieben Millionen Dollar abzupressen. Er sagt, sie habe, sie sagt, er habe das erfunden.
Die übelsten Ingredienzien sind beisammen, kein Wunder also, Amerika goes nuts: multi-kulti, wilde Ehe, die heilige Familie, der Trennungsstreit, Sex mit Kindern, Ruhm, Film, Geld. Das Gift ist gut gemischt, die Frage ist allein, wem wieviel davon eingetrichtert wird. In der Mischung von Information und Desinformation wird noch einmal überraschend deutlich, wie grotesk die amerikanische Vorstellung von „Kindern“ und „Erwachsenen“ ist. Es wurden vor 20 Jahren amerikanische Soldaten zum Schlachten nach Vietnam geschickt, die in ihrem Heimatstaat oder -kreis keine Dose Bier kaufen durften, weil eigentlich noch Kinder. Während nun die Siebenjährige in einem Videoclip, von der Mutter interviewt, den sexuellen Mißbrauch durch Allen bestätigen soll, behauptet gleichzeitig der Farrow-Clan, die College- Studentin Soon-Yi könne noch nicht wissen, was sie tue.
Die pervertierte Suche nach der verlorenen Unschuld ist ein spezifisch amerikanisches Problem, das auf Deutschland nicht übertragbar ist. Ob der Kanzler eine Affaire hat, interessiert nicht einmal die Bild-Zeitung, in der Abtreibungsfrage zeigt sich die Fähigkeit zum Kompromiß, über eine Schwulen- und Lesbenehe streiten vor allem Schwule und Lesben. Dennoch, die Metaphern werden importiert. Die Bild-Zeitung vom Mittwoch zeigt Woody Allen mit der kleinen Dylan an der Hand, und die Headline lautet: „Woody Allen — Sex mit diesem Kind?“ Und wie immer steckt der Teufel der Gemeinheit im Detail: Laut Springers BZ von gestern heißt das Kind nicht Dylan, sondern „Devlin“. Schuld ist die kleine Teufelin.
Die Bild ist natürlich in diesem Fall nichts anderes, als sie sonst auch ist, rosa Riese, Bestie von Berlin. Dennoch sollte registriert werden, auf wen und was die Verwirrung zielt, wenn Woody Allen auf der letzten Seite „nach dem Geständnis“ gezeigt wird (gemeint ist sein Bekenntnis zu Soon-Yi, assoziiert werden soll die angebliche Schändung Dylans): Allen ist, für die gesamte Linke Europas, ein unumstrittener, bewunderter Star, ein phantastischer, erfolgreicher Autorenfilmer, der Strindberg und Ibsen begriffen und transformiert hat. Allen ist der Inbegriff des jüdischen Intellektuellen in New York. Das Thema des Stadtneurotikers ist natürlich nicht die Stadt, sondern die Familie. Und sein Thema ist nicht das Glück des Augenblicks, sondern die Verzweiflung derer, die allein bleiben. Ulf Erdmann Ziegler
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