: Keine Kontrolle serbischer Lager?
■ Das Rote Kreuz will sich nicht zum Handlanger der „ethnischen Säuberung“ machen lassen/ Sonderberichterstatter der UNO-Menschenrechtskommission in Ex-Jugoslawien
Sarajevo/Genf (taz/dpa) — Aus US-Kreisen verlautete am Donnerstag Überraschendes: Sollten internationale Organisationen bereit sein, die „Verantwortung“ für gefangene Muslime und Kroaten zu übernehmen, würden die Serben ihre Lager der Kontrolle dieser Organisationen unterstellen — beziehungsweise die Gefangenen freilassen.
Doch bei den zuständigen Organisationen — allen voran beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) — wird auf dieses „Angebot“ mit allergrößter Skepsis reagiert. Der Vorschlag wird als ein besonders raffinierter Propagandaschachzug der Serben interpretiert. Das IKRK wird ihn, so ein Sprecher des IKRK gegenüber der taz ,„mit Sicherheit ablehnen“. Grundsätzlich sei es nicht Politik des IKRK, Gefangenenlager zu übernehmen.
Somit gibt es für das IKRK nur zwei Möglichkeiten: Entweder erhalten IKRK-Vertreter entsprechend den Bestimmungen der Genfer Konventionen ungehinderten Zugang zu allen vorhandenen Lagern und können sich dort um die Lagerinsassen kümmern. Über diese völkerrechtliche Selbstverständlichkeit wird aber immer noch zwischen IKRK-VertreterInnen und Serben verhandelt.
Oder aber Gefangene werden bedingungslos freigelassen. Doch auch diese Variante stößt auf Ablehnung. Denn damit würden sich die internationalen Organisationen de facto zum Handlanger der serbischen Politik der „ethnischen Säuberung“ machen. Klar ist, daß die Gefangenen mit Sicherheit nicht in ihre Heimatgebiete zurückkehren können, solange dort noch Krieg herrscht.
Der am Freitag letzter Woche von der UNO-Menschenrechtskommission zum Sonderberichterstatter berufene ehemalige polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki ist nach einer dreitägigen Einweisung in seine Aufgabe gestern endlich von Genf aus nach Jugoslawien aufgebrochen. In Begleitung von drei Mitarbeitern des UNO-Menschenrechtszentrums will er in Zagreb, Banja Luca, Bihac, Belgrad, Vukovar und Darajewo Informationen über Menschenrechtsverletzungen sammeln. Ausdrücklich hat Mazowiecki jedoch gefordert, nur in solche Gegenden zu reisen, in denen es „sicher“ sei. Für diese Reisen hat er vier Tage Zeit, schon am nächsten Freitag soll er seinen Bericht der UNO vorlegen. azu
In Sarajevo brennt das Parlamentsgebäude
Am Freitagmorgen zog Radio Sarajevo die Bilanz einer „höllischen Nacht“: „Mit allen verfügbaren Waffen“ hätten die serbischen Truppen den schwersten Artillerieangriff seit einer Woche unternommen, nicht nur das wichtigste Krankenhaus der Stadt, sondern auch die Marschall-Tito-Kaserne, das Hotel „Europa“ und das Parlamentsgebäude seien mit Granaten beschoßen worden. Ganz anders beurteilte die Angriffe dagegen das serbische „Lager“. Nach Angaben der Belgrader Nachrichtenagentur Tanjug haben bosnische Truppen das Feuer auf das serbischen Hauptquartier bei Sarajevo eröffnet, sie hätten versucht, den serbischen Belagerungsring um die Stadt zu durchbrechen. Am Freitag „normalisierte“ sich die Lage nur für kurze Zeit. Während die Menschen nach Brot und Wasser anstanden, fielen Granaten auf einen belebten Markt, zwei Menschen starben, 13 wurden verletzt.
Doch auch in anderen Teilen Bosniens halten die serbischen Truppen sich nicht an die Versprechungen des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic. Während Karadzic erst am Mittwoch festgestellt hatte, daß die UNO-Konvois nicht behindert werden würden, beschlagnahmten serbische Freischärler einen von zwei Schützenpanzern begleiteten UN- Lastwagen. Über die Auswirkungen des Vorgangs auf künftige Begleiteinsätze der UNO wollte ein UNO- Sprecher keine Angaben machen. Ein UNO-Soldat, der bei der Mission dabei war, erklärte jedoch: „Die Serben machten uns ein Angebot, das wir nicht ausschlagen konnten. Sie erklärten, sie seien entschlossen, um den Lastwagen zu kämpfen. Deshalb haben wir ihn übergeben. Unser Mandat schließt Beteiligung an Kämpfen aus.“
Nach dem Bericht eines britischen Journalisten haben serbische Freischärler Hunderte bosnischer Moslems gewaltsam aus der nordwestlich Sarajevos liegenden Stadt Sanski Most vertrieben. Zu Fuß hätten sich die Menschen, darunter auch Invaliden, Alte und Kinder, die ganze Nacht durch die Berge in Zentral- Bosnien schlagen müssen, bis sie das „Niemandsland“ bei Travnik erreicht hätten. Den ganzen Weg über seien sie von denselben Serben beschossen worden, von denen sie zuvor vertrieben wurden. Insgesamt hätte der Marsch 16 Stunden gedauert. Viele seien dabei umgekommen.
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