: "Wir denken den ganzen Tag nur noch Asyl"
■ Sammelstelle für Flüchtlinge in Oelixdorf total überlaufen / Anwohner fordern Schließung / Bonn verschleppt Dezentralisierung
total überlaufen / Anwohner fordern Schließung / Bonn verschleppt Dezentralisierung
Sechzig Kilometer vor den Toren Hamburgs, in der Itzehoer Randgemeinde Oelixdorf, bahnt sich nach Hoyerswerda und Mannheim ein weiterer trauriger Höhepunkt deutscher Asylpolitik an. Eine direkte Konfrontation zwischen Deutschen und Flüchtlingen scheint unmittelbar bevorzustehen.
Mitte der 80er Jahre wurde in der 1900-Seelen-Gemeinde ein ehemaliges Heim für schwererziehbare Mädchen in die einzige Sammelstelle Schleswig-Holsteins für Flüchtlinge umgewandelt. Jeder zur Zeit in Schleswig-Holstein ankommende Asylbewerber wird dort zuerst einmal registriert. Ausgelegt ist das Gebäude für 180 Gäste, mit den täglich etwa hundert neu ankommenden Flüchtlingen sind die Kapazitäten teilweise um das Fünffache überschritten. Damit entstehen nicht nur im Heim massive Streßsituationen. Die Konflikte verlagern sich auf die Straße. Denn die Flüchtlingsunterkunft steht inmitten beschaulicher Einfamilienhäuser, die Nachbarn beklagen sich seit mittlerweile mehreren Jahren bei Sozialminister Günter Jansen.
Von massiver Lärmbelästigung, Diebstählen, Bedrohungen und Frauenanmache ist zu hören, aber auch von menschenunwürdiger Unterbringung der Asylbewerber in dem völlig überfüllten Heim. Und dabei fing anfangs eigentlich alles ganz gut an. So trauert der 53jährige Bankkaufmann Gerd Weise, dessen Grundstück der Flüchtlingsunterkunft genau gegenüber liegt, den Zeiten nach, als das Verhältnis zwischen Anwohnern und Asylbewerbern noch gestimmt habe. Nachdem 1985 die ersten eingezogen wären, gab es ein prima nachbarschaftliches Verhältnis. Man
1hätte zusammen Straßenfeste gefeiert, die hauptsächlich schwarzen Nachbarn haben bei der Gartenarbeit geholfen. Ein anderer erinnert sich daran, wie das örtliche Fußballteam von den Ausländern verstärkt worden ist.
Doch die vermeintliche Idylle begann im Laufe der Jahre zu bröckeln. Seit 1988 stiegen die Unterbringungszahlen kontinuierlich an. Dadurch, daß Oelixdorf mittlerweile nicht mehr nur Unterbringungs-, sondern nur noch Registrierungs- und Entscheidungsort für den Asylantrag geworden ist, bleiben die Flüchtlinge nicht länger als zwei Wochen dort. Die Folge:
1zwischen Nachbarn und Asylbewerbern kann sich kein längerfristiger Kontakt entwickeln. Vor zwei Jahren gründete sich vor Ort eine Bürgerinitiative. Die ständige Überbelegung mit bis zu 700 Flüchtlingen war den Nachbarn zuviel. Anfänglich ging es ihnen gerade auch darum, die Lebensumstände der Asylbewerber in Oelixdorf zu verbessern, ihre Forderung an Sozialminister Günter Jansen lautete, die Unterbringung auf die zugelassenen 180 Plätze zu beschränken. Bei Ortsterminen legte Jansen dafür auch immer wieder die Hand ins Feuer, doch, wie sein Pressesprecher Ralf Stegner beteuert, ohne
1die Rechnung mit Bonn zu machen. Denn Innenminister Rudolf Seiters verzögert die Errichtung weiterer Registrierstellen, die das Land Schleswig-Holstein für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fordert.
Stegner gegenüber der taz: „Die blockieren eine Dezentralisierung geradezu.“ Das Bundesamt nehme nicht nur eine Verschärfung des Konflikts in Kauf, sondern fördere ihn sogar noch ganz bewußt. „Denn damit kann man das Schlagwort vom Asylmißbrauch wieder in die Öffentlichkeit bringen und letztendlich eine Grundgesetzänderung erzwingen.“ Und da spielen auch wieder die Medien bestens mit. Die Bildzeitung schildert die Bürgerinitiative als schwerbewaffnete Bürgerwehr, im Fernsehen werden patroullierende Nachbarn gezeigt: die Stimmung wird aufgeheizt. Doch das ist es nicht, was die Oelixdorfer wollen. Vera Breiholz, die direkt gegenüber der Unterkunft wohnt: „Zwar sind wir massiv belästigt und denken den ganzen Tag eigentlich nur noch Asyl, aber eine Bürgerwehr wollen wir nicht. Wir wollen keine Steine wie die in Hoyerswerda werfen.“
Seit Anfang Juli spitzt sich die Situation noch weiter zu. War das Tor sonst auch nachts für Flüchtlinge geöffnet, so schließt Oelixdorf die Türen von 17 bis 7 Uhr morgens. Frauen und Kinder werden hineingelassen, Männer allerdings nicht. Dutzendweise liegen die Flüchtlinge nachts rund um den Zaun im Gebüsch: ein beliebtes Ziel für Skinheads, auch wenn seit zwei Wochen acht zusätzliche Polizeibeamte 24 Stunden am Tag Dienst schieben. Vor vierzehn Tagen wäre es dann auch fast zur Eskalation gekommen, als etwa 40 Skins vor dem Heim auffuhren.
Inzwischen fordern die Nachbarn die Schließung der Unterbringungsstelle. Auch wenn viele Oelixdorfer die Notsituation der Ausländer verstehen, macht immer mehr das Schlagwort vom Wirtschaftsflüchtling die Runde. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge will jedoch erst im April nächsten Jahres zwei neue Registrierstellen schaffen. Für die Flüchtlinge und die Oelixdorfer ist dies untragbar. Hoffentlich tragen sie den politisch provozierten Konflikt nicht untereinander aus. Jörn Breiholz
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