: documenta 9 — Spot 4
■ Matt Mullican — Im Prozeß des Ordnens
Spot ist eine taz-Serie zu einzelnen Arbeiten oder Künstler(inne)n auf der documenta 9 in Kassel. Bis zum 20.September
Die von Matt Mullican im Erdgeschoß der »documenta- Halle« eingerichtete Koje hat einen schweren Stand. Zu ihrer Linken durfte Mario Merz mit einer Aneinanderreihung von Reisigbündeln die Museumsreife der arte povera vorführen, davor steht ein nur mit Mühen als naturverbunden lesbarer Pumpkolben des Schweden Ulf Rollof. Im Hintergrund erklären Gruppenführer den Kunsttouristen alle paar Minuten das Panamarenko-Gedankenflugzeug, das nicht fliegt. Die Flucht vor dem Manifest der Metaphern kann also nur direkt ins Zeichenreich des Kaliforniers führen. Es dauert eine Weile, bis man sich darin verirrt.
Der Bau setzt sich aus monochrom gestrichenen Kammern zusammen, in denen wie auf einer Verbrauchermesse die einzelnen Kunstprodukte drapiert sind. Zunächst überrascht die wohlfeile Anordnung von Zeitungsschnipseln und vermischten Zetteln, die Mullican für sein Archiv ausgewählt hat. Als wollte er den Werdegang der Moderne um sich sammeln, sind Dokumente aus den Anfängen der Photographie bis zur computeranimierten Graphik der Gegenwart sorgsam ediert an eine Pinnwand aus Leinen geheftet worden: Die Geschichte der Reproduzierbarkeit wird auf dem Tableau der Malerei wiederholt. Kein schlechter Gedanke.
Mullican jedoch sucht nach einem Blick über die Vergewisserung von zeitgenössischen Positionen der Konzept-Art hinaus. Dem Geist der Architektur verwandt, interessiert er sich weniger für die Beweiskraft einer gelungenen Darstellung, sondern sucht vielmehr eine Annäherung an prinzipielle Probleme der Ähnlichkeit zwischen Bild, Gedanken und Sprache. Er baut auf Zeichen. — Die Fülle der Abbildungen korrespondiert mit Planskizzen zur Philosophie, die Philosophie arbeitet wiederum mit dem Wissen um die Überzeugungskraft der Bilder. Nur scheinbar bleibt der Kreislauf der Argumente geschlossen, so wie in einem handschriftlich protokollierten Small-Talk Wörter allein in ihrer rhetorischen Überzeichnung eine Brücke zwischen Nonsens und Non-Sense schlagen: »It's really amazing that anything exists«, steht auf der Tafel und darunter als Entgegnung: »How incredible it is that anything exists at all.«
Die Doppelung von Bewunderung und lakonischer Skepsis im zweiten Satz läßt sich wie eine Petruschka-Puppe über das vorherige phänomenologische Bekenntnis stülpen und entdeckt überhaupt erst dessen freundschaftliche Gesinnung. Nach diesem Modell baut Mullican seine gesamte Bildund Zeichenwelt auf, ob am Beispiel des programmierten Apfelbäumchens, das im nächsten Augenblick per Datenverarbeitung in bunte Moleküle zerfällt. Oder bei einem installierten Versuchsaufbau, an dem Mullican die unterschiedlichen Zeichenebenen im Prozeß des Ordnens repitiert: eine blanke Leinwand, eine Hydriermaschine aus dem Gartenbau und als Folgeerscheinung eine naturkundig zusammengestellte Käfersammlung: Feld, Forschung, Ergebnis.
Ein bißchen verrät die Geste der nominalen Setzung den Pop-Artisten, der in Mullican steckt. Er nimmt unendlich viele Informationen der Medien auf, um selbst ein Teil von dessen Netz zu werden — getreu der Vorstellung, alles zu lesen, alles zu sehen, und dann zu sterben. Erst mit den Bildern hören auch die Gedanken auf. Harald Fricke
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