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“Ich bin wieder einmal eine Pionierin“

■ Gospelsängerin Fontella Bass sucht die spirituelle Erfahrung und singt in Kirchen Musik des Herrn

Natürlich wird sie am Sonntag in die Kirche gehen, auch wenn ihr das Wetter und die lange Anreise zu schaffen machen, und es in norddeutschen Gottesdiensten für ihren Geschmack wohl etwas trist zugehen wird.

„Back home“ kommt Fontella Bass am Tage des Herrn kaum zur Ruhe: „Ich laufe gewöhnlich von Kirche zu Kirche, und singe nacheinander bei mehreren Gottesdiensten“. Auch bei ihren Konzertauftritten geht es ihr jetzt nur noch, sehr strikt, um die spirituelle Erfahrung: „Seit zwei Jahren singe ich keine weltliche Musik mehr. Jetzt habe ich den Frieden und das Wissen, um mich ganz in die Musik des Herrn einzubringen.“

In den Staaten hat sie damit jetzt mehr Erfolg als je zuvor. „Bei den Zuständen, die dort heute herrschen, wird der Bedarf nach Gospelmusik immer stärker.“ In jedem Bundesstaat gibt es Radiosender, die 24 Stunden lang Gospelmusik spielen, sogar „Gospeltelevision“ und viele SängerInnen, Chöre und Bands, die schwarze Kirchenmusik „zu immer mächtigeren Höhen führen“. Daß hier in Deutschland diese Musik kaum gehört wird, sieht sie als Herausforderung: „Dann bin ich ja wieder eine Pionierin!“

Fast jeder in ihrer Familie hatte oder hat mit Musik zu tun. Als fünfjährige arbeitete sie schon mit ihrer Großmutter, der Sängerin Nevada Carter zusammen bei einem Beerdigungsinstitut. „Zuhause kennen mich noch viel Leute als das kleine Mädchen, das bei der Beisetzung eines ihrer Verwandten auf dem Klavier spielte.“

Später verließ Fontella den „rechten Pfad“. Mit weltlicher

Hier bitte das Foto von der schwarzen Sängerin

Fontella Bass, Gospelsängerin

Soulmusik hatte sie große Erfolge, wurde aber bei ihrem großen Hit „Rescue me“ von der Plattenfirma um Tantiemen betrogen — „mit den vielen Drogen und dem Alkohol war das auch sonst nicht meine Art zu leben“. Sie wandte sich vom populären Musikgeschäft ab und mit dem „Art Ensemble of Chicago“ sowie ihrem Ehemann Lester Bowie dem freien, avantgardistischen Jazz zu. Nach einigen Jahren trennte sie sich auch von dieser Sparte des Musikbusiness.

Ironischerweise besinnen sich jetzt auch Bowie und das Ensemble auf die traditionellen Wurzeln der Schwarzen Musik:“Ich muß darüber ein wenig lachen, denn ich habe diese Seite bei ihnen schon gesehen, als sie noch völlig frei spielten. Denn das machte ihre Musik spirituell. Auch Gospelmusik ist völlig frei, du kannst alles singen und ausdrücken, was dir von Gott eingegeben wird. Beim Art Ensemble herrschte das gleiche Gefühl vor, nur in einem anderen Geiste.“

Fontella Bass ist in ihrer Entwicklung wieder bei den Ursprüngen angekommen: „Mein ganzes Leben lang kannte ich z.B. das Lied „Mary had a little lamb“. Mit der Zeit spielte und sang ich es religiös, komisch, jazzig oder als Blues — ich streunte etwas umher. Ich bin dem Herrn so dankbar, weil er mir das Talent gegeben hat, mich in all diesen musikalischen Stilen auszudrükken, denn jetzt kann ich eine Kombination von all diesen Techniken in dieses Lied eingehen lassen. Jetzt sagen mir Zuhörer, sie hätten „Mary had a little lamb“ schon tausendmal gehört, aber so wie von mir gesungen noch nie.“ Willy Taub

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