: Japans Angst vor dem Skandal
Die politische Krise in Tokio dauert an/ Drei ehemalige Premierminister unter dem Verdacht der Bestechlichkeit/ Medien und Opposition halten sich vor Schreck ganz stark zurück ■ Aus Tokio Georg Blume
Die Regierung Japans versuchte gestern so zu tun, als sei nichts geschehen. Einen größeren Korruptionsskandal hat es in der japanischen Geschichte zwar noch nicht gegeben — aber seit dem Rücktritt des Vizepräsidenten der Liberaldemokraten und mächtigsten Mannes des Landes, Shin Kanemaru, hat sich Ministerpräsident Miyazawa darauf beschränkt, eine Politikerrunde zu Gesprächen über Reformen des Wahl- und Parteifinanzierungssystems zu versammeln. Doch mit konkreten Reformvorschlägen will sich Miyazawa bis zum November Zeit lassen.
Derweil riß der Enthüllungsreigen auch gestern nicht ab. Der Tokioter Fernsehsender TBS berichtete, daß auch die ehemaligen Premierminister Yasuhiro Nakasone, Noboru Takeshita und Sousuke Uno sowie der amtierende Außenminister Michio Watanabe illegale Parteispenden empfangen haben. Kanemaru hatte am Donnerstag eingestanden, 5,7 Millionen Mark von dem der Mafia verbundenen Paketdienst „Sagawa Kyubin“ entgegengenommen zu haben. Da er dem Steueramt keine Empfangserklärung gab, handelt es sich um eine mutmaßliche Verletzung des Parteispendengesetzes.
Auf die gleiche Art und Weise sollen nun auch Nakasone, Takeshita, Uno und Watanabe Spenden in Millionenhöhe unterschlagen haben. Sie mußten bereits im letzten großen Regierungsskandal vor drei Jahren gestehen, daß sie von Börsen-Insidergeschäften mit der Firma Recruit- Cosmos profitiert hatten. Im Gegensatz zu Kanemaru leugneten die Beschuldigten aber gestern, jemals Gelder von „Sagawa Kyubin“ empfangen zu haben.
Sämtliche Enthüllungen gehen auf Quellen der Staatsanwaltschaft zurück, die gegen Sagawa Kyubin aufgrund der Veruntreuung von 6,7 Milliarden Mark an Mafia und Politiker ermittelt. Entscheidend für den weiteren Skandalverlauf wird deshalb sein, mit welchem Ernst die Ermittlungen weitergeführt werden. „Weil Kanemaru sein Opfer bringt“, kommentiert der Kritiker Tetsuro Murobushi, „könnte die Staatsanwaltschaft bereits die gesellschaftliche Strafe, die in seinem Rücktritt liegt, anerkennen und die anderen großen Politiker vermeiden.“
Überraschend aber ist vor allem das zurückhaltende Echo der japanischen Medien. In der Vergangenheit wurde gerade ihnen ein wesentlicher Anteil an Skandalenthüllungen gutgeschrieben. Doch die Person Shin Kanemarus und seine Delikte waren für Japans politische Kommentatoren offenbar eine Nummer zu groß. Auch die Oppositionsparteien vermeiden persönliche Attacken. Fast intuitiv scheinen Journalisten und Oppositionelle davor zu erschrecken, daß Kritik an Kanemaru eben mehr bedeutet als Kritik an einem korrupten Politiker.
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