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Nächte der Angst auf Togos Straßen

Mit Attentaten und Putschvorbereitungen schüchtert das Militär im westafrikanischen Togo die junge Demokratie ein  ■ Aus Lome Paul Faber

Wenn man tagsüber durch die Straßen der Hauptstadt Togos geht, scheint das Leben seinen gewohnten, geschäftigen Gang zu gehen. Zwar gehen die Geschäfte schlecht; sogar die berühmten, halb Westafrika versorgenden Stoff-Großhändlerinnen Lomes werden ihre Ware nicht mehr los und verkaufen teilweise unter Einkaufspreis. Aber nicht die schlechte Wirtschaftslage bedrückt die Bewohner Lomes am meisten.

Die Abenddämmerung erst macht den Alpdruck sichtbar, unter dem die Leute hier leben. Abendtermine beginnen spätestens um halb acht, da bis 22Uhr alle wieder sicher hinter ihren häuslichen Mauern sein wollen. „Wir können nicht mehr ruhig schlafen“, hört man immer wieder, sowohl von Intellektuellen wie auch von einfachen Leuten. „Unsere Nächte sind voller Angst.“

Was spät abends auf der Straße passieren kann, erlebte Tavio Amorin am 23.Juli. Der prominente Politiker, Generalsekretär des demokratischen Oppositionsbündnisses „COD-2“, hatte nach einer politischen Versammlung mit einem Freund seine Tante besucht. Als deren Lieblingsprogramm im Fernsehen begann, ging er nach draußen und wartete auf seinen Cousin, der ihn nach Hause fahren wollte. Während er auf der Straße auf und ab ging, hörte er einen Ruf von hinten; er drehte sich um — und sackte sofort blutüberströmt zusammen: Aus nächster Nähe hatte ihm jemand mit einem automatischen Gewehr in den Bauch geschossen.

Der Schütze war kein Unbekannter. Es war, wie Amorins Freund sofort erkannte, der örtliche Polizist Boukpessi. Er war aber nicht allein. Am nächsten Morgen fand man in der Nähe des Tatorts eine Tasche mit Waffen, Munition und einem Polizeiausweis auf den Namen Karewe Kossi — wohl liegengelassen, als Amorins Freund dem Schützen hinterherrannte. Zeugen bestätigten später, Kossi sei am Abend zuvor in der Gegend gesehen worden.

Bettler streiken mit

Tavio Amorin starb sechs Tage später in einem Pariser Krankenhaus. Am Tage nach seinem Tod brannten in Lome Straßenbarrikaden. Ein Aufruf zum Generalstreik am 31.Juli wurde sogar von KleinhändlerInnen und BettlerInnen eingehalten. Leise Gruppendiskussionen auf den Straßen ersetzten das übliche geschäftige Treiben.

Als das Fernsehen am Abend behauptete, Lome hätte wieder zum Alltag zurückgefunden, empörte sich eine sonst ruhige 50jährige Frau: „Wer hat denen das denn erzählt? Nur weil wir wieder arbeiten werden, heißt das noch lange nicht, daß wir nicht mehr trauern. Das ist nicht an einem Tag vorbei.“

Vorbei ist „das“ auch heute noch nicht. Wochenlang wartete Amorins Familie auf das Flugzeug, das seine Leiche aus Frankreich bringen sollte. Erst letzten Freitag konnte der Oppositionsführer endlich beigesetzt werden.

Zarifou Ayeva, Präsident von „COD-2“, hält den Mord an Amorin für „den Beweis, daß ein massives Programm der physischen Liquidierung der Oppositionsführer vorbereitet wurde und jetzt ausgeführt wird“. Das erste Attentat der Anschlagsserie fand am 5.Mai statt, als eine Wagenkolonne des erst letztes Jahr aus dem Exil zurückgekehrten Oppositionsführers Gilchrist Olympio auf einer einsamen Landstraße im Norden Togos unter Feuer genommen wurde.

Olympio überlebte schwer verletzt; zwei andere Parteiführer, Marc Attidepe und Elliot Dhin, wurden getötet. Seit einigen Monaten gibt es jede Woche Bombenanschläge auf Häuser bekannter Oppositioneller oder Professoren. In der Stadt Atakpame fanden mehrere Anschläge auf Militärs statt, die mit den Demokraten sympathisieren.

Ihren Ursprung nahm die politische Gewalt nach der Nationalkonferenz vom Sommer 1991. Damals bekam Staatspräsident Gnassingbe Eyadema, der sich 1963 an die Macht geputscht hatte, den demokratischen Premierminister Kokoh Koffigoh an die Seite gesetzt, und eine Demokratisierung Togos wurde beschlossen. Eyadema und seiner alten Regierungsclique der ehemaligen Staatspartei RPT sind seither viele Möglichkeiten geboten worden, die Macht vollständig abzugeben — sie haben sich jedoch immer wieder mit Gewaltakten widersetzt.

Im Norden Togos griffen anfangs RPT-Aktivisten ihre im selben Dorf lebenden Gegner wegen „Illoyalität“ und „Undankbarkeit“ an. Die daraus entstehenden Familienfehden griffen schnell auf die Städte über, wo jede Seite bald ihre eigenen Milizen bildete. Dabei wurden die RPT-Anhänger von der Armee ausgerüstet, wie immer neue Waffenfunde belegen. In der Stadt Kpalime, wo Bürgerwehren sämtliche Einfahrtsstraßen patrouillieren und Autos durchsuchen, werden einkommende Munitions- und Granatenlieferungen abgefangen; die Stadt ist so von Anschlägen verschont geblieben.

Referendum abgesagt

Koffigoh und seine neue Regierungsmannschaft bezeichnen sich bezeichnenderweise noch heute als „Opposition“ — was viel über die wahren Machtverhältnisse aussagt. Amorins Beerdigung, zelebriert von jungen Oppositionsanhängern mit roten Stirnbändern, konnte erst stattfinden, nachdem sich die Regierung zu einer weitgehenden Einfrierung der Demokratisierung Togos bereit erklärt hatte.

Eigentlich sollte am 23.August ein Referendum über eine neue demokratische Verfassung stattfinden. Die Reaktionen aus dem RPT-Lager waren eindeutig feindlich gewesen — von einer angeblichen Erklärung der Stammesführer aus dem Norden Togos, die sogar von einem Toten handschriftlich unterzeichnet werden konnte, bis hin zu einem Kommunique der RPT selber, die das Referendum kurzerhand für „illegal“ erklärte. In der Nacht vom 8. zum 9. August wurde das zentrale Wahlbüro von etwa 50 Schwerbewaffneten überfallen. Ein Teil der Computeranlage wurde entwendet, die computerisierten Wahllisten gestohlen oder vernichtet. Augenzeugen berichten, eine halbe Stunde vor dem Überfall habe es bei dem zuständigen Polizeirevier rege Aktivität gegeben; gleichzeitig wurden die wenigen Nachtwächter vor Ort nach Hause geschickt.

Das Verfassungsreferendum fand jetzt nicht statt. Die Regierung hat es auf unbestimmte Zeit verschoben. Damit gab sie Präsident Eyadema und der RPT nach. Als weiteres Zugeständnis wird Eyadema zukünftig „wichtige“ Kabinettsitzungen selbst leiten können.

Ob dies die „alten Kräfte“ besänftigt? Gerüchte über seltsame nächtliche Truppenbewegungen außerhalb Lomes und Waffenverteilungen an RPT-treue Milizen haben in jüngster Zeit Hochkonjunktur. Auch Soldaten der Armee Benins, die 1991 die Macht abgeben mußte, sollen für einen möglichen Putsch ihre Dienste angeboten haben.

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