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Karoline Linnert: „Für die Leute zählt nur der Erfolg“

■ Die Grünen-Politikerin Karoline Linnert, Sprecherin der Sozialdeputation, über ihr politisches Selbstverständnis

Karoline Linnert auf der Bank unter den Rathausarkaden, wo die Obdachlosen gern die Nähe zur Politik sichen...

„Ja. Mir macht die Politik mir Spaß. Sonst hält man das auch nicht durch“, bekennt Karoline Linnert. Am 30. August ist die Grünen-Politikerin 34 Jahre alt geworden. „Ich arbeite ziemlich viel, aber ich bin unheimlich frei“, beschreibt sie ihr Leben seit dem Einzug in die Bremer Bürgerschaft im Dezember 1991. Sie wurde gleich in ihrer ersten Legislaturperiode zur Sprecherin eines der Ausschüsse der Bürgerschaft, der Sozialdeputation.

Karoline Linnert ist eine der Grünen, die im Dezember 1991 erst gegen den Eintritt in die Ampel-Koalition waren. Sie war unsicher, ob die Grünen sich das zutrauen können, ohne ihre in der Opposition gebildete Identität aufs Spiel zu setzen, und sie hatte Sorge um den gesellschaftlichen Platz der Opposition, der frei würde bzw. nur von politischen Kräften rechts der Mitte besetzt werden könnte, wenn die Grünen nicht mehr auf der Straße stünden.

„Natürlich sind wir alle überfordert“, sagt sie heute. Aber ist denn die Fraktion der FDP nicht überfordert? Sind denn die vielen in den hinteren Reihen, die teilweise schon seit Jahren da sitzen und wenig gefordert sind, nicht überfordert?

Wie wird man mit 34 Deputationssprecherin?

Eine zweite Reihe gibt es bei den Grünen nicht, schon gar nicht für eine Deputationssprecherin. Karoline Linnert ist täglich gefordert. „Man wird auch besser, ich habe viel gelernt. Es bleibt die Frage, was passiert menschlich ymit uns, was sollen wir lernen, um richtig zu regieren? „

Eines mag sie überhaupt nicht: Wenn sie als Sozialpolitikerin mißverstanden wird. Dies nicht nur, weil das ein typisches Frauen-Ressort wäre. Sozialpolitik ist für Karoline Linnert Gesellschaftspolitik. Die Anfänge ihres politischen Engagements in Bielefeld wären auch unter Sozialarbeit zu subsumieren, aber das Motiv war ein völlig anderes: Wie viele ihrer Generation orientierte sie sich „an den 68ern.“ Das bedeutete damals Überzeugungen wie: „Meine Generation hat die Verantwortung dafür, daß sowas wie Faschismus oder ein menschenverachtender Staat nie wieder passiert — wenn man das nicht will, dann muß man sich selber darum kümnmern.“

Eher zufällig war sie als Oberschülerin im Jugendfreizeitheim in Bielefeld mit ausländischen Ju

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gendlichen, Hauptschülern zusammen. „Autonome Jugendfreizeitheimbewegung“ hieß damals ganz selbstverständlich: Arbeit mit ausländischen Jugendlichen. Schularbeithilfen zum Beispiel.

„Weil ich was praktisches lernen wollte“, hat sie dann eine Lehre als Arzthelferin gemacht. Den Arbeitsalltag kennenlernen.

Bremen war die Stadt, wo ich gerne Politik machen wollte

1979 zog sie nach Bremen. Warum? „Bremen war die Stadt, wo ich gerne Politik machen wollte“. Politik spielte immer die entscheidende Rolle in ihrem Leben, seitdem sie bei den Eltern auszog. 1979 und Bremen — das war damals die „Bremer Grüne Liste“ (BGL). Karoline Linnert erinnert sich: „Da gab es die Versammlung mit Rudi Dutschle in der Stadthalle, der hatte dazu aufgerufen, sich nicht zu spalten. Ich bin regelmäßig zu Treffen der BGL gegangen. Ich war auf der Suche nach eine politischen Orientierung, die mit K-Gruppen- Dogmatismus nichts zu tun hat. Ich komme vom Land, für mich ist es selbstverständlich, daß man eine Eiche von einer Birke unterscheiden kann, daß man kompostiert und versucht, mit den Ressourcen der Natur sparsam umzugehen.“ Im Schüler-und Studentenmilieu Bielefels hatte sie manchmal „den Eindruck in den politischen Gruppen, daß ich nicht sagen kann, was ich denke. Und ich habe dann eine Gruppe gesucht, wo ich das kann.“

Daß die Bremer Grüne Liste sich damals scharf gegen die studentisch bestimmten linken Gruppen abgrenzte, hat sie nicht gestört. Mitglied ist sie in der BGL dennoch nicht geworden — der Kreis um Olaf Dinne wollte exklusiv bleiben und „natürlich bin ich dann schnell in ein Haß- Verhältnis zu Olaf Dinnee geraten. Aber da gab es auch Leute, die ich interessant fand und von denen ich etwas lernen konnte.“

Sie zählte zu denjenigen, die den auf Bundesebene gegründeten Grünen beitreten wollten, und auch eine Beteiligung an den Bundestagswahlen befürworteten. Christine Bernbacher, Helga Trüpel, Martin Thomas zum Beispiel, andere, deren Namen heute in der Politik nicht mehr geläufig sind.

Als Arzthelferin war ihr dann aber doch die Gesundheitsgruppe der Grünen die natürliche politische Heimat. Thema waren die Psychiatriebewegung (Auflösung von Kloster Blankenburg),

die Gesundheitstage mit ihrer Infragestellung der Arzneimittel, „irgendwann waren wir auch mit Drogen beschäftigt.“ Damals konnte das Problem der Drogenabhängigen noch als Randthema gelten: „Dieses Drogenthema ist damals in der Gesundheitsgruppe der Grünen irgendwann ergebnislos vertagt worden, weil man unter den Leuten, die da waren, keine Mehrheit finden konnte für eine Methadonvergabe.“

Die längst aufgelöste „Bremer Grüne Liste“ galt damals bei ihren „Alternativen“ Kritikern und heute in der Regel als kauzig und öko-konservativ, bei den Grünen wird Karoline Linnert manchmal auf dem „Fundi-Flügel“ eingeordnet. „Das ist quatsch“, findet sie selbst zu solchen Etiketten. „In den Anfängen der Grünen galt ja die Parole: Nicht rechts, nichts links, sondern ökologich.“ Auch das Schema „linke alternative Liste — rechte BGL“ halte sie „für eine Legende. Ich habe das anders erlebt.“

Schon bei der BGL hat sie sich

selbst „immer als Linke begriffen. Ich selber habe mich auch in der Kandidatur 1991 so verortet. Die Frage ist, ob die Kategorie etwas austrägt. Was ist das eigentlich? Das ist nur ein Schild, das man sich vorhängt, als gutes Gewissen, oder für die andere Seite als Feindbild.“

Innerhalb der Grünen erlebt sie heute allerdings die Kritik an ihrer Arbeit umgekehrt: Daß sie sich zu sehr auf die inneren Zwänge ihrer Arbeit einläßt, zu viele Kompromisse mache. Kurz: Daß sie Berufspolitikerin geworden sei.

Politik als Beruf?

Politik war für sie immer die Hauptsache. Nur für die kurze Zeit der Diplomarbeit in Psychologie spielte die Politik nicht die zentrale Rolle gegenüber Nebenbeschäftigungen wie Schule, Studium, Berufsarbeit. „Daß man das irgendwann als Beruf machen muß, das merke ich jetzt erst richtig. Ich weiß mitlerweile nicht mehr, was ich darüber denken soll, ob ich sowas will. Die Grünen waren für Rotation, dafür gibt es nach wie vor gute Argumente. Ich habe mein Leben so angelegt, immer Politik zu machen, aber daß ich dauerhaft meine Brötchen damit verdiene — das war nicht geplant. Und ich hoffe auch, daß das nicht so sein wird.“

Was spricht gegen eine Rolle als Berufspolitikerin? „Daß man betriebsblind wird.“ Der Sozialdeputations-Sprecherin fällt sofort ein Beispiel ein: Unterbringungsprobleme für Asylbewerber oder obdachlose Drogenabhängige. „Je weiter man weg ist, desto einfacher findet man das. Die Leute verstehen nicht, warum man nicht einfach drei, vier Grundstücke nimmt und da Häuser baut. Je näher man kommt, umso mehr merkt man, was alles nicht geht. Hunderttausend Sachen. Das sagt der gesunde Menschenverstand: Wir brauchen für Asylbewerber zehn Häuser, das kann ja kein Problem sein, zum Mond fliegen können wir ja schließlich auch, Karoline soll das jetzt machen. Ich habe mich von diesem gesunden Menschenverstand immer weiter entfernt. Als sei die Landesbauordnung eines der zehn Gebote. Die Gefahr wird groß, daß man die Grenzen in dem politischen Alltag als etwas Unveränderliches wahrnimmt. Das entfernt Dich von den Leuten, die sagen: Ihr Grünen, wo habt ihr jetzt diese Wohnungen. Eine zeitlang kann man das machen — auf Dauer entfernt sich die Wahrnehmung von der Bevölkerung. Davor habe ich auch Angst.“

Vielleicht ist das ein Anfängerproblem, daß man nicht schnell genug umschalten kann von den internen Problemen der verwaltungsmäßigen Umwetzung eines Themas und dem, was in der Außenansicht der Betroffenen oder der Bevölkerung eine Rolle spielt. Aber Karoline Linnert kennt keine Politikerin, keinen Politiker, der das Problem für sich gelöst hätte. „Vielleicht geht das gar nicht anders.

Auf der anderen Seite engagagiert sie sich gerade bei der Beherrschung der Verwaltungsabläufe. „um etwas zu werden, muß man auf Verwaltungsabläufe kennen, muß man tief einsteigen. Bis in konkrete Regelungen hinein.“ „Was werden“ heißt natürlich: Erfolg in der Sache haben.

Und dann wird man automatisch betriebsblind. Nimmt Verwaltungs-Funktion an. „Das ist ein Probleme, und ich weiß nicht, wie ich da herauskommen soll.“

Für sie ist die Alternative aber nicht, sich aus den Fachproblemen herauszuhalten und „als Ankündigungspolitikerin durch die Weltgeschichte zu reisen, die sich für das Gute, Edle, Schöne stark macht“.

Karoline Linnert ist manchmal radikal in ihren Vorstellungen und Forderungen, aber ganz „Realpolitkerin“ in der Form ihrer Arbeit. Ihre Fachkompetenz in der Drogenpolitik hat sie sich in Jahren täglichen Engagements erworben. „Das Wissen, die Kontakte, das dauert wahnsinnig lange, und wenn es klappt, ist es politisch wertvoll.“

Wenn man lange in der Politik ist, ist man zu oft fertig mit seinem Urteil

Aber — „ich mache schon lange Drogenpolitik. Manchmal, wenn ich müde und resigniert bin, dann denke ich, daß man diese Fachkompetenz nicht so hoch bewerten würde sondern sagen würde: Da soll jetzt jemand kommen, der frisch und neu denkt, anstatt mein Kopf, der alles irgendwie beredet hat und für die meisten Themen mit seinem Urteil fertig ist. Wenn man lange in der Politik ist, nehmen die Bereiche, in denen man mit seinem Urteil ferig ist und nicht mehr die Kraft und die Geduld aufbringt, es immer wieder von vorne zu überlegen und vielleicht immer wieder von vorne zu versuchen, daß das dann irgendwann diesen Effekt der Erfahrung konterkariert.“

Und so werden wie die Politiker, die die Instrumentarien der Machtpolitik beherrschen und die dieses „Fertig sein“ nur als Gewinn betrachten, will sie auf keinen Fall. „Da gibt es Leute, die können Wutanfälle inszenieren. Wir gehen da ran und kriegen das nicht so richtig auf die Reihe mit derartigen Tricks. Das ist die Frage, ob das wirklich dazugehört.“ Man erwartet von den Grünen aber nicht nur eine andere politische Kultur. „Es zählt ja nur der Erfolg. Den Weidedamm- Leuten ist das doch schnuppe, ob wir in einer anständigen Auseinandersetzung verloren haben. Da ist ihnen doch lieber, wir gewinnen in einer unanständigen Weise.“ K.W.

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