Swatch the World

■ Zehn Jahre Kult-Uhren

Bunt und billig tickt sie seit fast zehn Jahren an Millionen Handgelenken: die Swatch, 1983 erfunden, seitdem 90 Millionen Mal verkauft. Vergessen war das gediegene Erscheinungsbild traditioneller Schweizer Zeitmeßgeräte, über Bord geworfen ihre Kennzeichen Exklusivität und Kostspieligkeit. Seit Swatch ist es auch vorbei mit dem schweizerischen Understatement. 90 Millionen verkaufte Zeitmesser wollen — von Swatch — gefeiert werden. Für Swatcher und Nicht-Swatcher ist eine Ausstellung rund um das Zeitgeist-Zeiteisen im Straßenbahn-Depot Berlin-Moabit in Szene gesetzt.

Die Uhr für alle, die zur Kult-Uhr für viele wurde, signalisiert: Ihr Träger ist jung, witzig, modisch. Zeig mir, was du aus dem Ärmel schüttelst, und ich sage dir, was du bist. Ein Accessoire wurde zur Philosophie. Zum Kunstobjekt. Was die Lust auf die farbenfrohen Chronometer in den letzten Jahren zur Hysterie hochgeschraubt hat, ist die Kurzlebigkeit ihrer jeweiligen Designtypen. 850 verschiedene Swatch-Mutanten wurden in den vergangenen Jahren auf den Markt gebracht, in zwei Kollektionen pro Jahr. Sie sind Sammlerobjekte, wie einst die Briefmarken und jetzt die Telefonkarten. Der Swatch-Fan- Club zählt inzwischen mehrere zehntausend Mitglieder, für sie gibt es ein Swatch World Journal, Swatch- News und einmal im Jahr eine Extra- Swatch. Swatch-Uhren und jetzt — Swatch-Kunst in Berlin-Moabit.

Statt zehn Geburtstagskerzen zehn schwarze Kästen: In den engen Kabinen, die der Besucher mittels einer Drehtür betritt, kann er sich in den Zeitgeist der vergangenen Dekade einsehen, -hören, -fühlen und -riechen. In der „Metamorphose“- Box, die dem Jahr 1990 gewidmet ist, erwartet ihn sphärisches Wummern, ein Spiegelboden, plastisch ausgewulstete Gipswände und ein betäubend süßlicher Geruch. Unter dem Stichwort „Ethno — 1983“ findet sich der Betrachter in einem pseudo-afrikanischen Ambiente mit vom Band zirpenden Grillen, quakenden Fröschen und anderem piependen Getier wieder. Statt poppig, positiv und Swatch-imagegerecht sind die Blackbox-Inszenierungen, die unter der künstlerischen Leitung von „Art Supervisor“ Kiddy Citny entstanden sind, sinistrer Geisterbahnkitsch. Für Verschreckte und Enttäuschte gibt es Ende des Monats eine Party zum Verkauf der 100. Million des Produkts. Dabeisein kann jeder. Motto: „Swatch the World in Zermatt“. Marion Löhndorf