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Nicht erlebnisfähig

■ Werder gegen Bayer Uerdingen: zwei zu eins, weil der Schiedsrichter es wollte

Langeweile, die. Zustand innerer Leere bei Spannungsarmut und Ungezieltheit der Erlebnisfähigkeit, in dem die Zeit endlos lang und unausfüllbar scheint (Duden- Lexikon).

Herr Duden hätte zur Erstellung seiner Definition auch ein Bundesligaspiel mit Bayer Uerdingen besuchen können. Die Pharma-Kicker aus Krefeld taten am Samstag im Weserstadion alles Menschenmögliche, um dem Begriff Langeweile Wort für Wort zu entsprechen. Innere Leere am Beispiel Torwart Bernd Dreher: Der Mann, noch letzte Saison der beste Torhüter der zwoten Liga, war offensichtlich bei seinen Abschlägen vom berühmten Black-Outismus befallen. Reihenweise hackte er den Ball über die Seitenauslinie oder zum Gegener. Nett für Werder, zweifellos, aber irgendwie schien er seine Denkfähigkeit in der Kabine gelassen zu haben.

Beispiel Ungezieltheit: Werder, in den ersten zwanzig Minuten sehr bemüht, aber bis auf ein Törchen von Uwe Harttgen erfolglos, hatte mal wieder am Tor vorbei geballert. Doch die Pillenkicker von Bayer dreschen das Leder einfach von ihrem Strafraum vor den von Oliver Reck. Ein Mittelfeld hatten sie nicht, Stürmer, die ihren Namen verdienten, auch nicht. Es war zum Wegsehen.

Und was machte Werder, der Europa-Pokalsieger, Ex-Meister und eindeutige Wettfavorit? Werder baute auf, lief sich fest oder schoß über das Tor. Da arbeiteten elf grün-weiße Herren Fußball, besser ausgebildet als ihre Gegner, im Mittelfeld überlegen, aber ohne erkennbare Spielfreude. Uerdingens Virus der Spannungsarmut und Erlebnisunfähigkeit hatte die Bremer infiziert.

Herr Beiersdorfer, mit vielen Hoffnungen belegter Hamburg- Import, wollte mit dem Ball überhaupt nichts zu tun haben. Er traute sich gar nichts zu und schob seinen Nebenleuten die Verantwortung zu. Herr Herzog aus Österreich hatte Probleme mit dem Darm, und Klaus Allofs fügte dem Trauerspiel eine neue Episode von „Der alte Mann und der Ball“ hinzu. Der Rest mühte sich und rackerte, arbeitete einige Chancen heraus und vergab sie.

Nur einer, Schiedsrichter Hermann Albrecht aus Kaufbeuren, wollte sich mit der Langeweile im Stadion gar nicht abfinden. Er gab Einwürfe für die Gäste, die nie und nimmer welche waren. Kleinlich wie ein Erbsenzähler verteilte er gelbe Karten, übersah dann aber klare Foulspiele. Drei Minuten vor Schluß war ihm die Spannungsarmut über den Kopf gewachsen: Er gab einen indirekten Freisstoß wenige Meter vor dem Krefelder Tor. Nach einer scharfen Hereingabe der Werderaner hielt Bayer-Spieler Peschke seinen Fuß genau in die Flugbahn des Balles. Das Leder prallte ab und landete in den Armen von Torwart Dreher. Reine Auslegungssache, dieser verbotene Rückpaß.

So versammelte sich das gesamte Gästeteam auf der Torlinie, der Freistoß-Abpraller landete bei Votava, der ihn dann unter der Latte versenkte. Weil vorher, fast unbemerkt, die Uerdinger den Ausgleich erzielt hatten, stand es 2:1 für Werder. Jetzt endlich rannten die Westdeutschen wie die Furien herum. Zu spät.

Mins Minssen

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