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Konflikte meistern, nicht vermeiden

■ Monika Buttgereit, Kandidatin für den Landesvorsitz der SPD, will, daß die Partei wieder mehr Ecken bekommt und sich für die Zeit nach der Großen Koalition einrichtet/ Eine Frau als Vorsitzende ist ein Signal für Stilwechsel in der Politik

Wie ein Mehltau werde sich die Große Koalition über die SPD legen, habe Harry Ristock gewarnt. Sie habe ihm damals widersprochen und die politische Ehe mit durchgesetzt, betont Monika Buttgereit. Recht behalten aber habe der verstorbene Ziehvater der Berliner SPD-Linken doch. Das will die Kandidatin nicht falsch verstanden wissen. Die Konkurrentin des Fraktionsvorsitzenden Ditmar Staffelt um den Landesvorsitz sieht derzeit keine Alternative, die Große Koalition vor den Wahlen 1995 zu beenden. Ihre Sorge aber gilt der Zukunft: Die SPD sei so fest in die Große Koalition eingebunden, daß jegliche Visionen für die Zeit danach verlorengingen. Dieses zu ändern und neue Mehrheiten anzustreben, umreißt ihre Motivation, um den Vorsitz zu kämpfen.

Verglichen mit Ditmar Staffelt, ausgestattet mit bulliger Statur und raumfüllender Stimme, wirkt die schmale, hochgewachsene Frau unscheinbar. Seit 1989 ist die zweiundvierzigjährige Lehrerin, die ihre gesamte politische Sozialisation in der Berliner Partei machte, stellvertretende Landesvorsitzende. Seit Mompers abruptem Rücktritt sitzt die bislang außerhalb der Partei nahezu Unbekannte bis zum Parteitag Ende Oktober kommissarisch im Chefsessel: eine Belastung mehr für die Mutter von zwei Kindern.

»Wie auf Kohlen«, so erzählt sie, sitze sie oft bei Sitzungen des Geschäftsführenden Landesvorstands, wenn bis zum Beginn ihres Unterrichts die Minuten wegschmelzen. Die sechs- und achtjährigen Söhne, in der Ganztagsschule untergebracht, müssen am nachmittag abgeholt werden, bevor dann wieder die politischen Termine drängen. Bei einer Wahl wird diese Belastung noch zunehmen; dann aber will sie als Lehrerin pausieren.

Man merkt der im Wedding geborenen ehemaligen Juso-Vorsitzenden die Disziplin und — manchmal — auch die Spannung an. Die Kreuzberger Wohnung mit weißen Wänden, möbliert in einer Melange von Ikea und schneller Wohnen, mit vollen Buchregalen, ordentlicher Polstergarnitur und aufgeräumten Kinderzimmern, läßt die rigide Lebensführung ahnen. Die SPD beherrscht die Familie. Ihr Lebenspartner, der Arbeitsrichter Peter Strieder, ist designierter Kreuzberger Bürgermeister. Das hat in der SPD, die immer noch vor allem eine Männerpartei ist, zu der Spitze geführt, Monika Buttgereit sei nur das trojanische Pferd ihres Partners.

Sie tut dies ab, aber es ärgert sie. Schließlich hat sie zwanzig Jahre Frauenpolitik und einen langen Kampf für Quote und gegen den Paragraphen 218 hinter sich. Ein »relativ friedfertiger Mensch« sei sie, aber es gebe Dinge »wo ich die Krallen ausfahre«. Sie sei es leid, daß eine Kandidatin gefragt werde, wie sie Amt und Kinder unter einen Hut bringe. Männer würden dies nie gefragt. Leidenschaftlich wird sie auch, wenn sie über die Bundes-SPD spricht. »Verheerend« nennt sie die Beschlüsse zum Asylrecht, mit denen dem »Druck der Straße« nachgegeben werde. Sie kritisiert einen falschen Pragmatismus, durch den die SPD Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit verliere und zielt damit auch auf die Berliner Partei.

Angetreten ist die Linke deshalb vor allem, um der Partei wieder mehr Profil zu geben. Unter einem Landesvorsitzenden Staffelt werde die Partei dagegen »noch glatter«. Der Fraktionsvorsitzende Staffelt — der ebenfalls der Linken zugerechnet wird — müsse schließlich gleichzeitig die täglichen Sündenfälle und lauen Kompromisse der Großen Koalition aushandeln und mittragen.

Das Votum aller elf Ost-Berliner SPD-Bezirke mit 60 Delegierten für Staffelt nimmt sie gelassen hin. Man kenne sie drüben nur zuwenig, kommentiert sie — und denkt wohl vor allem daran, daß die Linke unter den insgesamt 360 Delegierten die Mehrheit hat. Die parteiinternen Wahlen vor dem Parteitag Ende Oktober werden möglicherweise erneut Gewinne für die Linken bringen. Ihre Kandidatur will sie deshalb auch dann nicht zurückziehen, wenn heute der Landesausschuß, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, für Staffelt votieren sollte.

Mit ihrer Äußerung, es müsse wieder mehr um oben und unten, nicht mehr um Ost oder West gehen, hat sie sich im Ost-Teil keine Freunde gemacht. Dort fühlt man sich abgemeldet. Sie aber meint es programmatisch. Die SPD müsse klarmachen, daß nicht die sozial Schwachen die Einheit bezahlen müßten — im Osten und im Westen. Eine Vorsitzende sei zudem eine Ermutigung für Frauen und ein »Signal für einen Stilwechsel« in der SPD.

Als ihre Stärke nimmt sie Integrationsfähigkeit in Anspruch; eine Eigenschaft, die auch Staffelt zugeschrieben wird. Daß sie, anders als der immer ausgewogen formulierende Staffelt, klare Worte spricht, ist für Monika Buttgereit kein Widerspruch. Gerade die glatte Politikersprache, so ein Seitenhieb, habe zur Politikverdrossenheit beigetragen. Anders als Staffelt könnte sie sich mit ganzer Kraft für die Partei einsetzen, wolle auch nicht Spitzenkandidatin werden. Den Fleiß nimmt man ihr ab, als konzeptionelle Begabung aber gilt sie nicht. Aber kann die Partei unter einer Vorsitzenden Buttgereit sich auf die Zeit »danach« vorbereiten, werden nicht vielmehr die Reibungskräfte die Partei und Fraktion zerreißen? Die Partei solle sich vom »Kleinklein« der Fraktionsarbeit fernhalten, vertritt sie. In einer Stadt, in der trotz leerer Kassen im Senat die Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden, ist dies kaum vorstellbar. Konfliktfrei sei Politik nie, entgegnet sie deshalb auf die Frage, wie eine Zusammenarbeit mit Staffelt funktionieren könne. Sie sei sich aber sicher, daß »wir Konflikte meistern, nicht vermeiden werden«. Gerd Nowakowski

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