piwik no script img

ABT: BRITISCHE HAUSHALTSLÖCHERAkw im Sonderangebot

■ Neue Privatisierungswelle in Großbritannien

Ausverkauf in Großbritannien: Die britische Regierung hat beschlossen, bis zur Jahrhundertwende fast alle Staatsunternehmen zu verscherbeln — darunter auch die Atomindustrie. Den Anfang wird die Firma AEA Technology machen, die 1995 auf den Markt kommen soll. 10.000 Menschen arbeiten bei der Firma, die zu den weltweit führenden Unternehmen im Bereich der Laser-Technologie zählt.

Die Privatisierungspläne gehen auf Vorschläge des früheren Energieministers John Wakeham zurück: Wakeham, heute Chef des Oberhauses, wollte den Verkauf bereits am Jahresanfang ins Tory- Wahlmanifest schreiben, doch das Kabinett machte in letzter Sekunde aus Angst vor Stimmverlusten einen Rückzieher. AEA soll nun in eine Aktiengesellschaft umgewandelt oder an eine private Stromgesellschaft verkauft werden.

Weit schwieriger wird es, British Nuclear Fuels (BNFL) abzustoßen. Zu dem Skandal-Unternehmen gehören die beiden Plutoniumschleudern Sellafield und Dounreay. Zwar liegt BNFL dieses Jahr in der Gewinnzone, doch sind gewaltige Investitionen für weitere Wiederaufbereitungsanlagen notwendig, wenn das so bleiben soll. Deshalb muß rationalisiert werden, bevor das für seine Atomunfälle berüchtigte Unternehmen in private Hände übergehen kann. Was mit dem Bereich geschehen soll, der das Plutonium für die Rüstung liefert, ist bisher ungeklärt.

Neben der Atomindustrie sollen langfristig auch die schottische Wasserindustrie und die Post privatisiert werden. Der Postpaketdienst sowie der erste Teil der Eisenbahn, die staatliche Immobilienfirma und die Werften in Plymouth und Rosyth kommen bereits bis Ende nächsten Jahres unter den Hammer. Dagegen wird die staatliche Kohleindustrie British Coal — entgegen ursprünglichen Plänen — vermutlich nicht privatisiert, sondern weitgehend stillgelegt, weil sich die Regierung mit der Stromindustrie nicht über stabile Preise einigen kann. In Staatshand bleiben nur noch die zivile Luftfahrtbehörde, die Wasserstraßen, das Amt für Öl und Pipelines sowie die unzuverlässige Londoner U-Bahn.

Über die Einnahmen aus der neuen Privatisierungswelle will die Regierung das tiefe Loch in der Haushaltskasse stopfen. Die Neuverschuldung wird in diesem Jahr 36 Milliarden Pfund (rund 12,9 Mrd. DM) betragen. Mindestens elf Milliarden Pfund hofft die Regierung in den nächsten zwei Jahren durch den Verkauf der Staatsunternehmen einzunehmen. Weitere zehn Milliarden sollen 1995/96 hinzukommen. Das würde John Major Luft schaffen, um Steuern zu senken und öffentliche Ausgaben zu erhöhen. Schließlich stehen dann ja wieder Wahlen vor der Tür. Ralf Sotscheck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen